Der Graf von Monte Christo 2
bringt.«
Monte Christo hob die Augen und verbeugte sich, indem er sagte:
»Teufel, eine halbe Million! Mein werter Herr Cavalcanti!«
»Steht dort eine halbe Million?« fragte der Lucceser.
»Eine halbe Million … in Buchstaben ausgeschrieben, und es muß so sein; der Abbé Busoni ist ein Mann, der alle Reichtümer Europas kennt.«
»Ich glaubte bei meiner Ehre nicht, daß es so viel ist.«
»Weil Sie einen Verwalter haben, der Sie bestiehlt.«
»Sie machen mich aufmerksam«, sagte der Lucceser ernsthaft, »ich werde den Schurken davonjagen.«
Monte Christo las weiter: »Und dem nur eins fehlt, um glücklich zu sein.«
»Ja, mein Gott, nur eins«, versetzte der Lucceser seufzend.
»Seinen Sohn wiederzufi nden.«
»Einen angebeteten Sohn!«
»Der in seiner Kindheit entweder durch einen Feind seiner edlen Familie oder durch Zigeuner geraubt wurde.«
»Im Alter von fünf Jahren, mein Herr!« antwortete der Lucceser mit einem tiefen Seufzer und zum Himmel erhobenen Augen.
»Armer Vater!« sagte Monte Christo und fuhr fort. »Ich gab ihm Hoff nung, Leben zurück, als ich ihm sagte, daß Sie ihm seinen Sohn wiedergeben könnten, den er seit fünfzehn Jahren sucht.«
Der Lucceser sah Monte Christo unruhig an.
»Ich kann es«, sagte der Graf.
»Ah, der Brief lügt also nicht?«
»Haben Sie gezweifelt, teurer Bartolomeo?«
»Nein, niemals! Wie könnte ein so ernster, würdevoller Mann wie der Abbé Busoni solchen Scherz treiben! Doch Sie haben nicht alles gelesen, Exzellenz!«
»Richtig«, erwiderte Monte Christo, »hier ist noch ein Postskriptum.«
»Ja«, erwiderte der Lucceser, »ja … ein Postskriptum.«
»Um dem Major Cavalcanti die Mühe zu ersparen, schicke ich ihm einen Wechsel von zweitausend Franken für seine Reisekosten und eröff ne ihm einen Kredit bei Ihnen im Betrag von achtundvierzigtausend Franken, die Sie mir noch schuldig sind.«
Der Major folgte mit sichtbarer Angst, während der Graf dieses Postskriptum las. Der Graf sagte nichts weiter als: »Gut!«
»Er hat ›gut‹ gesagt«, murmelte der Lucceser. »Nun, mein Herr?«
sprach er laut.
»Nun?« fragte Monte Christo.
»Nun, das Postskriptum?«
»Nun ja, das Postskriptum.«
»Ist es Ihnen so angenehm wie der übrige Inhalt des Briefes?«
»Ganz gewiß. Ich und der Abbé standen in Verrechnung; ich weiß zwar nicht, ob ich ihm noch so viel schuldig bin, doch auf einige Banknoten kommt es zwischen uns nicht an. – Sie scheinen diesem Postskriptum großen Wert beizulegen, Herr von Cavalcanti?«
»Ich gestehe, daß ich im vollen Vertrauen auf Abbé Busonis Anweisung mich nicht mit anderm Geld versehen habe und sehr in Verlegenheit wäre.«
»Setzen Sie sich«, sprach Monte Christo, »wahrlich, ich weiß nicht, was ich tue! Seit einer Viertelstunde lasse ich Sie stehen.«
»Hat nichts zu sagen«, sprach der Major und zog sich einen Stuhl herbei.
»Wollen Sie inzwischen etwas nehmen? Wein von Xeres, Oporto, Alicante?«
»Alicante, wenn ich bitten darf, das ist mein Lieblingswein.«
»Ich habe vortreffl iches Biskuit dazu.«
»Nun denn ja, weil Sie mich dazu nötigen.«
Monte Christo klingelte. Baptistin erschien. Der Graf wandte sich zu ihm und fragte leise: »Nun?«
»Der junge Mensch ist schon da«, antwortete der Diener ebenso.
»Wo ist er?«
»Im blauen Salon, wie Eure Exzellenz befohlen haben.«
»Vortreffl ich, bringen Sie Alicanter Wein und Biskuit.«
Baptistin ging und kam gleich darauf mit Wein, Biskuit und Glä-
sern zurück. Der Graf schenkte ein und nahm dann die Unterhaltung mit dem Fremden wieder auf.
»Also, mein Herr«, begann er, »Sie wohnen in Lucca, sind reich, adlig, genießen allgemeine Achtung und besitzen alles, was einen Menschen glücklich macht?«
»Alles, Exzellenz!« antwortete der Major, während er sein Biskuit verschlang. »Nur eines fehlt zu meinem Glück.«
»Ah, Ihr Kind wiederzufi nden.«
»Ja, ja«, sagte der Major, indem er ein zweites Biskuit nahm, »das fehlt mir sehr.« Er hob die Augen zur Decke und bemühte sich tief zu seufzen.
»Unterdessen, teurer Herr von Cavalcanti«, sagte Monte Christo,
»was läßt Sie Ihren Sohn so bedauern? Man hat mir gesagt, daß Sie nicht verheiratet waren?«
»Man glaubt es, Herr Graf, und ich selbst …«
»Ja, Sie haben das Gerücht bestätigt, eine Jugendsünde, die Sie vor den Augen der Welt verbergen wollten.«
Der Lucceser richtete sich auf und nahm eine ruhige, würdevolle Miene an, während er verschämt die Augen
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