Der Graf von Monte Christo 2
Monte Christo fort, »so möchte ich wissen, ob die Schicksalsschläge, von denen Sie getroff en worden sind, Sie nicht der Gesellschaft entfremdet haben, in der Sie infolge Ihres Vermögens und Ihres Namens eine so große Rolle zu spielen berufen waren.«
»Herr Graf«, sagte der junge Mann, der, während der Graf sprach, seine Sicherheit allmählich wiedergewonnen hatte, »seien Sie über diesen Punkt außer Sorge; die Entführer, deren Ziel es off enbar war, mich meinem Vater später gegen Geld zurückzugeben, wie sie es getan haben, haben sich überlegt, daß sie mir meinen ganzen Wert lassen müßten, um mich recht teuer loszuschlagen; ich bin deshalb sehr gut erzogen worden, und diese Kindesräuber haben mich behandelt, wie man in Kleinasien manche Sklaven behandelte, die ihre Herren zu Grammatikern, Ärzten und Philosophen ausbilden ließen, um sie auf dem Markt in Rom recht teuer zu verkaufen.«
Monte Christo lächelte zufrieden; er hatte off enbar nicht so viel von Herrn Andrea Cavalcanti erwartet.
»Nun gut«, sagte Monte Christo; »auf einen besonderen Umstand will ich Sie noch aufmerksam machen: Sie werden kaum jemand Ihre rührende Geschichte erzählt haben, so wird sie bald völlig entstellt in der Gesellschaft die Runde machen. Sie müssen sich einen bestimmten Plan zurechtlegen, nach dem Sie Ihr Benehmen regeln.
Sie müssen durch Freundschaften mit anständigen Leuten alles vergessen machen, was in Ihrer Vergangenheit dunkel sein könnte. Lord Wilmore hat mich nicht darüber im unklaren gelassen, daß Sie eine ziemlich stürmische Jugend hinter sich haben. Damit Sie niemand sonst nötig haben, hat man aus Lucca den Marquis Cavalcanti, Ihren Vater, kommen lassen. Sie werden ihn sehen, er ist ein wenig steif, aber das kommt von seiner Uniform, und wenn man erfahren wird, daß er seit achtzehn Jahren in österreichischen Diensten steht, wird man alles entschuldigen. Kurz, er genügt durchaus als Vater.«
»Sie nehmen mir eine Sorge vom Herzen, Herr Graf. Ich habe ihn seit so langer Zeit nicht gesehen, daß ich keine Erinnerung mehr an ihn habe.«
»Und dann, Sie wissen, ein großes Vermögen hilft über vieles hinweg.«
»Mein Vater ist also wirklich reich?«
»Millionär … fünfhunderttausend Franken Einkünfte im Jahr.«
»Dann werde ich mich also in … angenehmen Verhältnissen be-fi nden?« fragte der junge Mann angstvoll.
»In sehr angenehmen, mein lieber Herr, er setzt Ihnen fünfzigtausend Franken das Jahr aus, während der ganzen Zeit, die Sie in Paris zubringen werden.«
»Aber ich werde immer hierbleiben, wenn es sich so verhält.«
»Wer kann alle Umstände berechnen, mein lieber Herr? Der Mensch denkt, und Gott lenkt.«
Andrea seufzte.
»Aber solange ich in Paris bleibe und … nichts mich zwingt, es zu verlassen, ist mir dieses Geld gesichert?«
»Jawohl.«
»Durch meinen Vater?« fragte Andrea mit Unruhe.
»Ja, aber garantiert durch Lord Wilmore, der Ihnen auf Bitten Ihres Vaters einen Kredit von fünftausend Franken monatlich bei Herrn Danglars, einem der sichersten Bankiers von Paris, eröff net hat.«
»Und mein Vater will lange in Paris bleiben?« fragte Andrea unruhig.
»Nur einige Tage«, antwortete Monte Christo, »der Dienst erlaubt es ihm nicht, länger als zwei oder drei Wochen abwesend zu sein.«
»Oh, der gute Vater!« sagte Andrea, über diese baldige Abreise sichtlich erfreut.
»Jetzt will ich aber den Augenblick Ihrer Vereinigung mit Ihrem Vater nicht länger hinauszögern«, sagte der Graf. »Treten Sie in dieses Zimmer, mein lieber Freund, Sie werden Ihren Vater fi nden, der Sie erwartet.«
Andrea verbeugte sich tief vor dem Grafen und ging in das andere Zimmer.
Der Graf folgte ihm mit den Augen. Als der junge Mann das Zimmer verlassen hatte, drückte er auf einen Knopf, der sich neben einem Bild an der Wand befand. Das Bild bewegte sich daraufhin in dem Rahmen und ließ einen Spalt frei, durch den man in das Zimmer nebenan blicken konnte.
Andrea schloß die Tür hinter sich und ging auf den Major zu, der sich erhob.
»Mein Vater«, sagte Andrea laut, damit ihn der Graf durch die geschlossene Tür hören könnte, »sind Sie es?«
»Guten Tag, mein lieber Sohn«, sagte der Major würdig.
»Welches Glück, uns nach so vielen Jahren der Trennung wiederzu-sehn«, sagte Andrea, indem er fortwährend nach der Tür blickte.
»Wirklich, die Trennung war lang.«
»Wollen wir uns nicht umarmen?« sagte Andrea.
»Wie du willst, mein Sohn«, sagte der
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