Der Graf von Monte Christo 2
niederschlug.
»Ja, ich wollte diesen Fehltritt allen Augen entziehen.«
»Doch nicht um Ihretwillen«, sprach Monte Christo, »denn ein Mann ist über solche Dinge erhaben.«
»Oh, meinetwegen wahrhaftig nicht«, sagte der Major lächelnd.
»Aber der Mutter wegen«, versetzte der Graf.
»Ja, wegen seiner Mutter!« rief der Lucceser und nahm ein drittes Biskuit, »wegen seiner armen Mutter.«
»Sie hieß Oliva Corsinari, nicht wahr?«
»Oliva Corsinari.«
»Marquise?«
»Marquise.«
»Und Sie haben sie endlich ungeachtet des Widerstands der Familie geehelicht?«
»Ja, so ist es.«
»Und«, versetzte Monte Christo, »Sie haben die Dokumente mitgebracht?«
»Welche Dokumente?«
»Nun, den Trauschein mit Oliva Corsinari und den Taufschein des Kindes.«
»Den Taufschein des Kindes?«
»Ja, des Andrea Cavalcanti, Ihres Sohnes. Nun, wo sind die Papiere?«
»Herr Graf, ich muß mit Bedauern gestehen, daß ich vergaß, sie mit mir zu nehmen.«
»Teufel, das ist fatal!« sagte Monte Christo.
Der Lucceser kratzte sich verlegen den Kopf.
»Sind sie denn so notwendig?«
»Durchaus, es könnte sich ein Zweifel gegen Ihre Heirat, gegen die rechtmäßige Geburt Ihres Kindes erheben.«
»Das ist wahr.«
»Das wäre für den jungen Menschen fatal«, sagte Monte Christo.
»Sehr fatal.«
»Es könnte ihm eine reiche Heirat verderben.«
»Welch ein Unglück, daß ich die Papiere nicht habe!«
»Glücklicherweise habe ich sie«, versetzte Monte Christo; »Abbé Busoni hat für Sie gedacht. Hier ist Ihr Trauschein.«
»Ja, meiner Treu«, rief der Major, ihn voll Erstaunen betrachtend.
»Hier ist ferner der Taufschein des Andrea.«
»Alles ist gehörig ausgefertigt«, sagte der Major.
»Nun, nehmen Sie diese Papiere, die ich nicht brauche, und geben Sie sie Ihrem Sohn, damit er sie sorgfältig aufbewahre. – Übrigens verstehen Sie, Herr Cavalcanti«, fuhr Monte Christo fort, »daß es nicht nötig ist, daß man in Frankreich von der fünfzehnjährigen Trennung von Ihrem Sohn etwas weiß. Ihr Sohn war bis jetzt auf einer Schule in der Provinz, nun wollen Sie seine Erziehung in Paris vollenden lassen. Deswegen haben Sie Via Reggio verlassen, wo Sie seit dem Tod Ihrer Frau wohnten. Das genügt.«
»Meinen Sie?«
»Gewiß.«
»Also gut.«
»Wenn man aber von der Trennung etwas erführe …«
»Ja, was soll ich dann sagen?«
»Nun, daß ein treuloser Lehrer, bestochen von den Feinden Ihrer Familie …«
»Den Corsinari?«
»Sicherlich … Das Kind beseitigt habe, damit Ihr Stamm aus-sterbe.«
»Richtig, weil es mein einziger Sohn ist …«
»Nun, da alles in Ordnung ist, da Ihre Erinnerungen wieder klar sind, habe ich eine Überraschung für Sie. Ihr Sohn ist hier.«
»Ihre Güte geht so weit, daß Sie mir meinen Sohn selbst vorstellen?«
»Nein, ich will mich zwischen einen Vater und seinen Sohn nicht stellen. Sie werden allein sein; aber beruhigen Sie sich, selbst in dem Falle, daß die Stimme des Blutes schweigt, können Sie sich nicht irren: Er wird durch diese Tür hereinkommen. Er ist ein hübscher blonder Jüngling, vielleicht zu blond, von einnehmendem Wesen, nun, Sie werden sehen.«
»Noch eins«, sagte der Major, »Sie wissen, daß ich nur zweitausend Franken bei mir hatte, die der gütige Abbé Busoni mir zuge-schickt hatte, und …«
»Und Sie brauchen Geld … ganz richtig, teurer Herr von Cavalcanti.
Hier haben Sie acht Scheine zu je tausend Franken.«
Die Augen des Majors funkelten.
»Bleiben vierzigtausend Franken, die ich Ihnen noch schulde«, sagte Monte Christo, »und nun machen Sie sich bereit, Ihren Sohn Andrea wiederzusehen.«
Er machte dem Lucceser eine Verbeugung und verschwand hinter den Türvorhängen.
Er trat in das Zimmer nebenan. Ein elegant gekleideter junger Mann mit blonden Haaren, rotblondem Bart, schwarzen Augen und auff allend weißer Haut saß in lässiger Haltung auf einem Sofa und schlug mit einem kleinen Spazierstock gegen seine Stiefel.
Als er Monte Christo bemerkte, erhob er sich rasch.
»Der Herr ist der Graf von Monte Christo?« sagte er.
»Ja, mein Herr«, erwiderte dieser, »und ich habe die Ehre, mit dem Herrn Grafen Andrea Cavalcanti zu sprechen, wie ich glaube?«
»Graf Andrea Cavalcanti«, wiederholte der junge Mann und machte eine tadellose Verbeugung.
»Sie haben ein Empfehlungsschreiben an mich?« sagte Monte Christo.
»Ich habe es nicht erwähnt wegen der sonderbaren
Unterschrift.«
»Sindbad der Seefahrer, nicht wahr?«
»Ja. Da
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