Der Graf von Monte Christo
Graf, erraten Sie es nicht? Dieser Mensch, der sterben soll, ist wütend darüber, daß der andre nicht mit ihm stirbt, und wenn man ihn gewähren ließe, würde er ihn eher mit seinen Nägeln und Zähnen zerreißen, als ihn das Leben genießen lassen, dessen er selbst beraubt werden soll. Oh! Menschen, Menschen! Krokodilenbrut, wie Karl Moor sagt, rief er, seine beiden Fäuste nach der Menge ausstreckend, wie erkenne ich euch hier, und wie sehr seid ihr jeder Zeit euer selbst würdig.
Andrea und die beiden Gehilfen des Henkers wälzten sich wirklich im Staube, wobei der Verurteilte fortwährend ausrief: Er muß sterben, ich will, daß er sterbe, man hat nicht das Recht, mich allein umzubringen. Die Knechte trugen Andrea schließlich auf das Schafott, alles Volk nahm gegen ihn Partei, und zwanzigtausend Stimmen riefen wie mit einem Schrei: Tötet ihn! tötet ihn! Franz warf sich zurück, aber der Graf ergriff ihn am Arm und hielt ihn am Fenster fest.
Was machen Sie denn? sagte er zu ihm; Mitleid? Das wäre in der Tat gut angebracht! Wenn Sie rufen hörten: Dort ist ein wütender Hund! so würden Sie Ihr Gewehr nehmen, auf die Straße eilen und das arme Tier niederschießen, dessen ganze Schuld am Ende darin bestände, daß es, von einem andern Hunde gebissen, das, was man ihm getan, vergilt. Und Sie haben Mitleid mit einem Menschen, den kein anderer Mensch gebissen, und der dennoch seinen Wohltäter umgebracht hat, und nun, da er nicht mehr umbringen kann, weil seine Hände gebunden sind, mit aller Gewalt seinen Kerkergefährten, seinen Unglückskameraden sterben sehen will? Sehen Sie, sehen Sie!
Diese Ausforderung war überflüssig geworden, Franz war von dem furchtbaren Schauspiel wie von einem Blendwerk ergriffen. Die Knechte hatten den Verurteilten auf das Schafott geschleppt und ihn hier, trotz seines Widerstrebens, seines Beißens, seines Geschreis, genötigt, sich auf die Knie zu werfen; währenddessen stellte sich der Henker an seine Seite und hielt die Keule empor; auf ein Zeichen zogen sich die Gehilfen zurück. Der Verurteilte wollte sich erheben, doch ehe er dazu Zeit hatte, fiel die Keule auf seine linke Schläfe; man hörte ein dumpfes, mattes Geräusch, und der Verbrecher stürzte mit dem Gesicht voran wie ein geschlagener Ochs zur Erde. Der Henker ließ nun die Keule aus seinen Händen sinken, zog das Messer aus seinem Gürtel und öffnete dem Opfer mit einem Schnitte die Gurgel.
Nun konnte es Franz nicht mehr aushalten; er warf sich zurück und fiel halb ohnmächtig in einen Lehnstuhl. Albert blieb mit geschlossenen Augen auf seinen Füßen, klammerte sich aber an den Vorhängen an, ohne deren Unterstützung er gewiß gefallen wäre.
Der Graf stand aufrecht und triumphierend wie der Racheengel.
Der Karneval in Rom.
Als Franz zu sich kam, erblickte er Albert, der ein Glas Wasser trank, was er, nach seiner Blässe zu urteilen, sehr nötig hatte, und den Grafen, der bereits die Tracht eines Bajazzo anlegte. Auf dem Platze war alles verschwunden, Schafott, Henker, Opfer; nur das geräuschvolle, geschäftige, lustige Volk war noch übrig; die Glocke des Monte-Citorio, die nur beim Tode des Papstes und bei der Eröffnung des Karnevals hörbar wird, ertönte in vollen Schwingungen.
Nun! fragte er den Grafen, was ist denn vorgefallen?
Nichts, durchaus nichts, wie Sie sehen, erwiderte der Graf; der Karneval hat nun begonnen, und wir wollen uns ankleiden.
In der Tat, sagte Franz, von dieser ganzen furchtbaren Szene ist nichts mehr vorhanden, als die Spur eines Traumes.
Weil es nichts anderes ist, als ein Traum, ein Alp, den Sie gehabt haben.
Ja, ich, aber der Verurteilte?
Auch für ihn ist es ein Traum, nur ist er eingeschlafen geblieben, während Sie erwacht sind; und wer vermag zu sagen, welcher von beiden besser daran ist?
Und Peppino, fragte Franz, was ist aus ihm geworden?
Peppino ist ein Mensch von Verstand und ohne alle Eitelkeit. Während sonst die Leute wütend darüber werden, wenn man sich nicht mit ihnen beschäftigt, war er entzückt, als er sah, daß sich die allgemeine Aufmerksamkeit seinem Kameraden zuwandte; er benutzte daher die Zerstreuung, um unter die Menge zu schlüpfen und zu verschwinden, ohne auch nur den würdigen Priestern, die ihn begleitet hatten, zu danken. Der Mensch ist offenbar ein sehr undankbares und selbstsüchtiges Geschöpf ... Doch kleiden Sie sich an! Sie sehen, Herr von Morcerf geht Ihnen mit gutem Beispiel voran.
Albert zog mechanisch seine
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