Der Graf von Monte Christo
Augen traten; er machte noch ein paar Schritte im Salon.
Im Namen des Himmels, sagte Maximilian, wenn Sie etwas von diesem Manne wissen, so teilen Sie es uns mit.
Ach! erwiderte Monte Christo, die Erschütterung seiner Stimme bewältigend, ach! wenn Lord Wilmore Ihr Wohltäter ist, so befürchte ich, daß Sie ihn nie finden werden. Ich habe ihn vor zwei oder drei Jahren in Palermo verlassen; er reiste damals nach weit entfernten Ländern, und ich zweifle sehr an seiner Rückkehr.
Ah! mein Herr, Sie sind grausam, rief Julie voll Schrecken.
Und es entstürzten Tränen den Augen der jungen Frau.
Gnädige Frau, sagte mit ernstem Tone Monte Christo, während er mit seinen Blicken die beiden Tränenperlen verschlang, die über Julies Wangen herabrollten, wenn Lord Wilmore gesehen hätte, was ich hier sehe, so würde er das Leben noch lieben, denn die Tränen, die Sie vergießen, müßten ihn mit dem Menschengeschlechte aussöhnen. Und er reichte Julie die Hand, und diese gab ihm die ihre, hingezogen von Blick und Ton des Grafen.
Doch dieser Lord Wilmore, sagte sie, sich an eine letzte Hoffnung klammernd, hatte er kein Vaterland, Verwandte, Familie, war er bekannt? Könnten wir nicht ...
Oh! suchen Sie nicht, Madame, bauen Sie keine leeren Hoffnungen auf das Wort, das mir entschlüpft ist! Nein, Lord Wilmore ist wahrscheinlich nicht der Mann, den Sie suchen, er war mein Freund, ich kannte seine Geheimnisse, er hätte mir auch dieses mitgeteilt.
Und er sagte Ihnen nichts davon? rief Julie.
Nichts.
Sie nannten ihn aber doch sogleich?
Sie wissen, in solchen Fällen ergeht man sich leicht in Mutmaßungen.
Meine Schwester, sagte Maximilian, Monte Christo zu Hilfe kommend, der Herr Graf hat recht. Erinnere dich dessen, was unser guter Vater uns so oft sagte: Der Mann, der unser Glück machte, war kein Engländer.
Monte Christo zitterte und sagte lebhaft: Ihr Vater sagte Ihnen dies, Herr Morel?
Mein Vater, Herr Graf, erblickte in dieser Handlung ein Wunder. Mein Vater glaubte an einen für uns aus dem Grabe erstandenen Wohltäter. Oh! welch ein rührender Aberglaube, mein Herr! ... Während ich selbst ihm nicht beipflichtete, war ich doch weit entfernt, diesen Glauben in seinem Herzen zerstören zu wollen. Wie oft träumte er davon und sprach ganz leise den Namen eines geliebten Freundes, eines verlorenen Freundes aus, und als er nur noch einen Schritt vom Tode entfernt war und das Herannahen der Ewigkeit seinem Geiste etwas von der Erleuchtung des Grabes gegeben hatte, da wurde dieser Gedanke, der bis dahin eine dunkle Vermutung gewesen war, zur Überzeugung, und die letzten Worte, die er sterbend aussprach, lauteten: Maximilian, es war Edmond Dantes.
Die immer mehr zunehmende Blässe des Grafen wurde bei diesen Worten furchtbar. Er konnte kaum mehr sprechen, zog seine Uhr, als hätte er die Stunde vergessen, nahm seinen Hut, machte eine ungestüme, verlegene Verbeugung vor Frau Herbault, drückte Emanuel und Maximilian die Hand und stammelte: Gnädige Frau, erlauben Sie mir, Ihnen zuweilen meine Achtung zu bezeigen. Ich liebe Ihr Haus und bin Ihnen dankbar für Ihren Empfang, denn es ist das erste Mal seit Jahren, daß ich mich vergessen habe.
Und er entfernte sich mit großen Schritten.
Das ist ein seltsamer Mensch ... dieser Graf von Monte Christo, sagte Emanuel.
Ja, erwiderte Maximilian, aber ich glaube, er hat ein vortreffliches Herz, und ich bin überzeugt, daß er uns liebt.
Und mir, sagte Julie, mir war es, als erinnerte sich mein Inneres seiner Stimme, und wiederholt kam es mir vor, als hörte ich sie nicht zum erstenmal.
Pyramos und Thisbe.
Auf dem Faubourg Saint-Honoré hinter einem schönen Palast dehnte sich damals ein weiter Garten aus, dessen blätterreiche Kastanienbäume die ungeheuren, wallhohen Mauern überragten, und wenn der Frühling kam, ihre rosenfarbigen und weißen Blüten in zwei Vasen von gerieftem Stein fallen ließen, die auf zwei viereckigen Pfeilern einander gegenüberstanden, zwischen die ein eisernes Gitter aus der Zeit Ludwigs XIII gefügt war.
Dieser großartigste Eingang war trotz der herrlichen Geranien, die in den Vasen wuchsen, der Öde verfallen, seitdem sich die Eigentümer auf den Besitz des Hauses, des mit Bäumen bepflanzten und nach dem Faubourg gehenden Hofes und des Gartens beschränkten, den dieses Gitter schloß. Da aber der Dämon der Spekulation eine Straße am Ende dieses Küchengartens gezogen, so glaubte man dieses Stück als Bauplatz verkaufen zu
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