Der Graf von Monte Christo
Mercedes Entfernung versank bei Monte Christo altes wieder in Schatten. Wie! sagte er zu sich selbst, während sich die Lampe und die Kerzen traurig verzehrten und die Diener ungeduldig im Vorzimmer warteten; wie, das so langsam vorbereitete, mit so viel Mühe und so vielen Sorgen errichtete Gebäude ist mit einem einzigen Schlage, mit einem einzigen Worte, mit einem Hauche eingestürzt! Wie! Dieses Ich, das ich für etwas hielt, dieses Ich, auf das ich so stolz war, dieses Ich, das ich in den Kerkern des Schlosses If so klein gesehen und dann so groß zu machen gewußt hatte, wird morgen ein Häuflein Staub sein! Ach! es ist nicht der Tod des Körpers, was ich beklage. Was ist der Tod für mich? Eine weitere Stufe in der Ruhe und zwei weitere in der Stille. Nein, es ist nicht das Dasein, was ich beklage, es ist die Zertrümmerung meiner so mühsam ausgearbeiteten und aufgebauten Entwürfe. Die Vorsehung, von der ich glaubte, sie sei mit mir, war also dagegen?
Die Last, fast so schwer wie eine Welt, die ich aufhob und bis an das Ziel tragen zu können glaubte, entsprach meinem Wunsche, aber nicht meiner Kraft; meinem Willen, aber nicht meiner Macht, und ich muß sie schon auf der Hälfte des Weges niederlegen. Oh! ich werde wieder Fatalist werden, ich, den vierzehn Jahre der Verzweiflung und sechzehn Jahre der Hoffnung zu einem Gottesverehrer gemacht haben!
Und dies alles, mein Gott! weil mein Herz, das ich für tot hielt, nur entschlummert war, weil es erwachte, weil es schlug, weil ich dem Schmerze dieses Herzschlages nachgab, den die Stimme einer Frau in der Tiefe meiner Brust wieder zum Leben erweckte. Und dennoch, fuhr der Graf, sich immer mehr in die Gedanken an den nächsten Tag vertiefend, fort, und dennoch ist es unmöglich, daß diese Frau, ein so edles Herz, aus Selbstsucht eingewilligt hat, mich, den Mann voll Kraft und Leben, töten zu lassen! Es ist unmöglich, daß sie bis zu diesem Grade die mütterliche Liebe, oder vielmehr den mütterlichen Wahnsinn treibt! Es gibt Tugenden, deren Übertreibung ein Verbrechen wäre. Nein, sie wird irgend eine pathetische Szene ersonnen haben, sie wird kommen und sich zwischen die Degen werfen, uns das wird das Erhabene lächerlich machen.
Die Röte des Stolzes stieg Monte Christo auf die Stirn.
Lächerlich, wiederholte er, und die Lächerlichkeit wird auf mich zurückfallen ... Ich, lächerlich! Lieber sterben. Dummheit! Dummheit! rief er endlich, so den Edelmut üben und sich wie eine träge Zielscheibe vor den Pistolenlauf eines jungen Mannes stellen! Nie wird er glauben, daß mein Tod ein Selbstmord sei, und dennoch bin ich es der Ehre meines Andenkens schuldig, daß die Welt erfährt, ich habe freiwillig meinen bereits zum Schlage erhobenen Arm aufgehalten, und mich mit dem gegen andere so mächtig bewaffneten Arm selbst geschlagen. Es muß sein, und ich werde es tun.
Und er nahm eine Feder, zog ein Papier aus dem geheimen Fache seines Büros und fügte unten an die Schrift, die nichts anderes war, als sein nach seiner Ankunft in Paris gemachtes Testament, einen Nachtrag, der die Ursache seines Todes auch dem Blödesten klar legte.
Mein Gott! ich tue dies, sagte er, die Augen zum Himmel aufschlagend, ich tue dies ebensowohl für deine Ehre, als für die meinige. Oh, mein Gott! ich habe mich seit zehn Jahren als den Abgesandten deiner Rache betrachtet, und es soll sich kein Elender wie dieser Morcerf, es soll sich kein Danglars, kein Villefort einbilden, der Zufall habe sie von ihrem Feinde befreit. Sie mögen erfahren, daß die Vorsehung, die bereits ihre Bestrafung beschlossen, nur durch die Macht meines Willens eine Änderung gestattete, daß die Strafe nur aufgeschoben ist und in der andern Welt ihrer harrt, und daß sie für die Zeit nur die Ewigkeit eingetauscht haben.
Während er so in der düsteren Ungewißheit und den üblen Träumen eines durch den Schreck erweckten Menschen schwebte, begann der Tag an den Fenstern zu erscheinen und unter seinen bleichen Händen das Papier zu erhellen, auf das er diese seine letzte Rechtfertigung geschrieben hatte. Plötzlich drang ein leichtes Geräusch an sein Ohr. Er glaubte etwas wie einen erstickten Seufzer gehört zu haben; er wandte den Kopf, schaute umher und sah niemand. Nun wiederholte sich aber das Geräusch deutlich.
Da stand er auf, öffnete sacht die Tür des Salons und sah auf einem Lehnstuhle mit niederhängenden Armen und geneigtem bleichem Kopf Haydee, die sich quer vor die Tür gesetzt hatte,
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