Der Graf von Monte Christo
sie, die zu dieser Stunde den Herrn anbetet; nehmen Sie Abschied von der traurigen Hülle, die sie unter uns gelassen hat, ergreifen Sie zum letzten Male ihre Hand, die Sie für sich haben wollten, und trennen Sie sich auf immer von ihr; Valentine bedarf jetzt nur noch des Priesters, der sie segnen soll.
Sie täuschen sich, mein Herr, rief Morel, sich auf ein Knie erhebend, das Herz durchbohrt von einem Schmerze, der schärfer war als alle Schmerzen, die er bis jetzt empfunden; Sie täuschen sich; gestorben, wie sie gestorben ist, bedarf Valentine nicht nur eines Priesters, sondern auch eines Rächers. Herr von Villefort, schicken Sie nach dem Priester, ich werde der Rächer sein.
Was wollen Sie damit sagen, mein Herr? murmelte Villefort.
Ich will damit sagen, antwortete Morel, daß in Ihnen zwei Menschen sind; der Vater hat genug geweint, der Staatsanwalt beginne sein Amt!
Noirtiers Augen funkelten, d'Avrigny trat näher.
Mein Herr, fuhr der junge Mann fort, ich weiß, was ich sage, und Sie wissen ebensogut, wie ich, was ich sagen will: Valentine ist ermordet worden!
Villefort neigte das Haupt; d'Avrigny trat noch einen Schritt näher; Noirtier machte mit den Augen ja.
Mein Herr, fuhr Morel fort, ein Geschöpf, und wäre es auch nicht jung, wäre es auch nicht schön, wäre es auch nicht anbetungswürdig, wie Valentine, ein Geschöpf wird in unserer Zeit nicht gewaltsam aus der Welt gebracht, ohne daß man Rechenschaft über sein Verschwinden verlangt. Auf! Herr Staatsanwalt, fügte Morel mit wachsender Heftigkeit hinzu, kein Mitleid! Ich zeige Ihnen das Verbrechen an, suchen Sie den Mörder!
Und sein unversöhnliches Auge fragte Villefort, der mit dem Blicke bald Noirtier, bald d'Avrigny anflehte.
Doch statt Hilfe bei seinem Vater und bei dem Doktor zu finden, fand er in ihren Gesichtern nur einen ebenso unbeugsamen Ausdruck, wie in dem Morels.
Ja! machte der Greis.
Gewiß! sagte d'Avrigny.
Mein Herr, versetzte Villefort, der noch gegen diesen dreifachen Willen und gegen seine eigene Erschütterung anzukämpfen suchte, mein Herr, Sie täuschen sich, es werden keine Verbrechen in meinem Hause begangen. Das Unglück trifft mich, Gott prüft mich; das ist ein furchtbarer Gedanke – aber man ermordet niemand!
Noirtiers Augen flammten, d'Avrigny öffnete den Mund, um zu sprechen, Morel streckte, Schweigen befehlend, den Arm aus und rief mit einer Stimme, die sich senkte, ohne etwas von ihrem furchtbaren Klange zu verlieren: Und ich sage Ihnen, daß man hier tötet. Ich sage Ihnen, daß dies das vierte Opfer ist, das seit vier Monaten getroffen wird! Ich sage Ihnen, daß man vor vier Tagen bereits einmal Valentine zu vergiften versucht hat, was nur infolge der Vorsichtsmaßregeln des Herrn Noirtier scheiterte. Ich sage Ihnen, daß man die Dose verdoppelt oder die Natur des Giftes verändert hat, und daß es diesmal gelungen ist! Ich sage Ihnen endlich, daß Sie dies alles so gut, wie ich, wissen, denn dieser Herr hat Sie als Arzt und als Freund davon in Kenntnis gesetzt.
Oh! Sie sprechen im Fieberwahn, mein Herr! sagte Villefort, der sich vergebens in dem Kreise, in dem er sich gefangen fühlte, zu sträuben suchte.
Ich im Fieberwahn! rief Morel; wohl, ich berufe mich auf Herrn d'Avrigny. Fragen Sie ihn, mein Herr, ob er sich noch der Worte erinnere, die er im Garten dieses Hauses gesprochen, an dem Abend, wo Frau von Saint-Meran starb; als Sie im Glauben, Sie seien allein, über den eigentümlichen plötzlichen Todesfall sprachen.
Villefort und d'Avrigny schauten sich an.
Ja, ja! erinnern Sie sich, rief Morel. Allerdings hätte ich bei der frevelhaften Nachsicht des Herrn von Villefort für die Seinigen schon an jenem Abende der Behörde alles entdecken sollen, und dann wäre ich in diesem Augenblick nicht mitschuldig an deinem Tode, Valentine! Meine vielgeliebte Valentine! Doch der Mitschuldige wird dein Rächer werden; dieser vierte Mord ist offenkundig und aller Augen sichtbar, und wenn dein Vater dich verläßt, Valentine, so werde ich den Mörder verfolgen, das schwöre ich dir.
Nun endlich schien die Natur Mitleid mit diesem starken Geist zu empfinden; die letzten Worte Morels verklangen in einem mächtigen Schluchzen, und Tränen entstürzten seinen Augen, er wankte, fiel auf seine Knie und weinte an Valentines Bett.
Nun war die Reihe an d'Avrigny, der mit fester Stimme erklärte:
Auch ich verbinde mich mit Herrn Morel, um Gerechtigkeit für das Verbrechen zu verlangen, denn mein Herz empört
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