Der Graf von Monte Christo
Villefort, er schläft, und das ist seltsam, denn der geringste Verdruß hält ihn sonst die ganze Nacht hindurch wach. Der Schmerz hat ihn niedergeschmettert, versetzte d'Avrigny, worauf beide nachdenklich in das Kabinett des Staatsanwalts zurückkehrten.
Sehen Sie, ich habe nicht geschlafen, sagte Villefort, auf sein unberührtes Bett deutend; der Schmerz schmettert mich nicht nieder; ich habe zwei Nächte nicht geschlafen; dagegen schauen Sie mein Büro an; mein Gott! Wie habe ich diese zwei Tage und diese zwei Nächte hindurch geschrieben! Wie habe ich diese Papiere durchwühlt und die Anklageschrift des Mörders Benedetto mit Noten versehen! ... Oh, Arbeit, Arbeit! meine Leidenschaft, meine Freude, meine Wut, du mußt mir alle meine Schmerzen niederschlagen!
Und er drückte d'Avrigny krampfhaft die Hand.
Bedürfen Sie meiner? fragte der Doktor.
Nein, sagte Villefort, ich bitte Sie nur, um elf Uhr zurückzukommen; zur Mittagsstunde findet die Abfahrt statt. Mein Gott! mein armes Kind, mein armes Kind!
Und wieder Mensch werdend, schlug der Staatsanwalt die Augen zum Himmel auf und stieß einen Seufzer aus.
Sie werden dann also im Empfangszimmer sein?
Nein, ich habe einen Vetter, der diese traurige Ehre übernimmt. Ich gedenke zu arbeiten, Doktor; wenn ich arbeite, verschwindet alles.
Der Doktor war in der Tat noch nicht vor der Tür, als sich der Staatsanwalt bereits wieder zur Arbeit gesetzt hatte.
Um elf Uhr rollten die Wagen über das Pflaster des Hofes, und die Rue du Faubourg Saint-Honoré ertönte von dem Gemurmel der auf die Freude wie auf die Trauer der Reichen gleich begierigen Menge.
Allmählich füllte sich der Trauersaal, und man sah zuerst einige von unseren Freunden, nämlich Debray, Chateau-Renaud, Beauchamp, sodann hervorragende Vertreter der Gesellschaft, der Anwaltschaft, der Literatur und der Armee. Die, welche sich kannten, winkten sich mit dem Blicke und versammelten sich in Gruppen. Eine von diesen Gruppen bestand aus Debray, Chateau-Renaud und Beauchamp.
Armes Mädchen! sagte Debray. So reich, so schön! Hätten Sie das gedacht, Chateau-Renaud, als wir vor drei Wochen meine ich, zusammenkamen, um jenen Vertrag zu unterzeichnen, der nicht unterzeichnet wurde?
Meiner Treu! nein, erwiderte Chateau-Renaud.
Kannten Sie Fräulein von Villefort?
Ich habe einige Male mit ihr gesprochen, sie kam mir reizend vor, obgleich etwas schwermütig. Wo ist die Stiefmutter?
Haben Sie über diesen Tod in Ihrer Zeitung geschrieben?
Der Artikel ist nicht von mir, erwiderte Beauchamp; ich zweifle auch, ob er Herrn von Villefort angenehm sein wird. Es ist, glaube ich, darin gesagt, wenn vier aufeinander folgende Todesfälle anderswo als im Hause des Staatsanwalts stattgefunden hätten, so würde der Staatsanwalt sicherlich mehr dadurch in Bewegung gesetzt worden sein.
Der Doktor d'Avrigny, der Arzt meiner Mutter, behauptet übrigens, er sei sehr in Verzweiflung, sagte Chateau-Renaud. Doch was suchen Sie, Debray?
Ich suche Herrn von Monte Christo.
Ich habe ihn unterwegs auf dem Boulevard getroffen; ich glaube, er will abreisen, denn er ging zu seinem Bankier.
Zu seinem Bankier? Ist sein Bankier nicht Danglars? fragte Chateau-Renaud.
Ich glaube, ja, erwiderte der Geheimsekretär mit einer leichten Unruhe. Doch Monte Christo ist nicht der einzige, der hier fehlt, ich sehe auch Morel nicht.
Morel! Kannte er sie? fragte Chateau-Renaud.
Ich glaube, er ist ihr einmal vorgestellt worden.
Gleichviel, er hätte kommen müssen, sagte Debray; diese Beerdigung ist das Ereignis des Tages.
Beauchamp hatte wahr gesprochen; als er sich zu der Trauerfeierlichkeit begab, begegnete er Monte Christo, der auf dem Wege zu Danglars war.
Der Bankier sah von seinem Fenster aus den Grafen im Hofe erscheinen und ging ihm rasch entgegen.
Nun, Graf, sagte er, Monte Christo mit einem halb trübseligen, halb höflichen Gesichte die Hand reichend, Sie kommen, mir Ihr Beileid zu bezeigen. In der Tat, das Unglück ist in meinem Hause. Es scheint überhaupt ein unglückliches Jahr zu sein. Nehmen Sie unsern Puritaner von einem Staatsanwalt, den heiligen Villefort, der nun auch seine Tochter verloren hat, nachdem auf seltsam plötzliche Weise drei andere Todesfälle in seinem Hause vorgekommen sind; Morcerf ist entehrt und getötet, und ich bin lächerlich gemacht durch die Verworfenheit dieses Benedetto, und dann ...
Was dann? ... fragte der Graf.
Ach! Sie wissen nicht, daß uns Eugenie verlassen hat?
Mein Gott, was Sie
Weitere Kostenlose Bücher