Der Graf von Monte Christo
Wahnsinnigen, die mir nicht glauben wollten! Sie wollen nichts von meinem Golde; ich werde es behalten. Sie verweigern mir die Freiheit, Gott wird sie mir schicken. Fort, ich habe nichts mehr zu sagen.
Damit warf der Abbé seine Decke zurück, griff wieder nach dem Kalkstück, setzte sich in seinen Kreis und fuhr fort, seine Linien und Zahlen zu zeichnen.
Sie gingen weg, und der Gefangenenwärter schloß die Tür hinter ihnen.
Er muß in der Tat Schätze besessen haben, sagte der Inspektor, die Treppe hinaufsteigend.
Es hat ihm wohl vom Besitz derselben geträumt, antwortete der Gouverneur, und am andern Morgen ist er als Narr erwacht.
In der Tat, versetzte der Inspektor mit bezeichnender Naivität, wenn er wirklich reich gewesen wäre, so säße er nicht im Gefängnis.
So endigte die Inspektion für den Abbé. Er blieb Gefangener, und sein Ruf als lustiger Narr wuchs noch infolge dieses Besuchs.
Was Dantes betrifft, so hielt der Inspektor sein Wort.
Als er in die Wohnung des Gouverneurs kam, ließ er sich die Gefangenenliste geben.
Die den Gefangenen betreffende Note lautete:
Edmond Dantes Wütender Bonapartist, hat tätigen Anteil an der Rückkehr von der Insel Elba genommen.
Im geheimsten Gewahrsam und unter der strengsten Aufsicht zu halten.
Diese Note war von einer andern Handschrift und mit einer andern Tinte als das übrige Verzeichnis geschrieben, woraus hervorging, daß man sie während Dantes' Gefangenschaft hinzugefügt hatte.
Die Anklage war zu bestimmt, als daß ein Ankämpfen dagegen möglich gewesen wäre. Der Inspektor schrieb also daneben: Nichts zu machen.
Dieser Besuch hatte Dantes gleichsam wiederbelebt. Seitdem er ins Gefängnis gekommen war, hatte er die Tage zu zählen vergessen: aber der Inspektor gab ihm ein neues Datum, und Dantes vergaß es nicht. Er schrieb an die Wand mit einem Stück von der Decke gelösten Kalk den 30. Juli 1816, und von jetzt an machte er jeden Tag eine Kerbe, um fortlaufend das Datum bestimmen zu können.
Die Tage verliefen, dann die Wochen, dann die Monate; Dantes wartete immer. Er hatte damit angefangen, daß er einen Termin von vierzehn Tagen bis zu seiner Befreiung feststellte. Als diese vierzehn Tage abgelaufen waren, sagte er sich, es sei töricht von ihm, zu glauben, der Inspektor würde sich vor seiner Rückkehr nach Paris mit ihm beschäftigen: seine Rückkehr könnte aber nicht eher stattfinden, als bis er seine Rundreise vollendet hätte, und diese Rundreise dürfte einen bis zwei Monate dauern. Er verlängerte also die Frist auf drei Monate. Als drei Monate abgelaufen waren, bewilligte er sechs Monate. Als aber diese sechs Monate abgelaufen waren, stellte es sich heraus, daß er zehn und einenhalben Monat gewartet hatte. Während dieser zehn Monate hatte sich nichts in seiner Lage geändert; keine tröstliche Nachricht war zu ihm gelangt; der Gefangenwärter blieb bei seinen Fragen stumm wie gewöhnlich. Dantes fing an, an seinen Sinnen zu zweifeln und zu glauben, was er für eine Erinnerung hielt, sei nichts als die tolle Ausgeburt seines Gehirns, und der tröstende Engel, der in seinem Gefängnisse erschienen, sei auf den Flügeln eines Traumes herabgekommen.
Nach Verlauf eines Jahres wurde der Gouverneur versetzt und nahm Dantes' Schließer mit. Ein neuer Gouverneur kam an. Es wäre für ihn zu zeitraubend gewesen, sich die Namen aller Gefangenen sagen zu lassen; er ließ sich nur ihre Nummern vorlegen. Das furchtbare Hotel garni auf If bestand aus fünfzig Zimmern; ihre Bewohner wurden mit der Nummer des Zimmers, das sie inne hatten, vorgerufen, und der unglückliche junge Mann hörte auf, seinen Vornamen Edmond oder seinen Namen Dantes zu führen; er hieß Nummer 34.
Nummer 34 und Nummer 27.
Dantes durchlief alle Stufen des Unglücks, welche den im Kerker der Vergessenheit überantworteten Gefangenen bevorstehen.
Die erste Stufe war der Stolz, eine Folge der Hoffnung und eines unschuldigen Gewissens. Dann fing er an, an seiner Unschuld zu zweifeln, was die Ansichten des Gouverneurs, sein Geist sei zerrüttet, einigermaßen rechtfertigte. Endlich sank er von der Höhe seines Stolzes herab; er flehte noch nicht zu Gott, aber zu den Menschen. Der Unglückliche, der mit dem Herrn anfangen sollte, gelangt erst dazu, auf ihn zu hoffen, wenn er alle andern Hoffnungen erschöpft hat.
Dantes flehte also, man möchte ihn aus seinem Kerker ziehen und ihn in einen andern bringen, und wäre er auch noch finsterer und tiefer. Eine
Weitere Kostenlose Bücher