Der Graf von Monte Christo
und wandte sich nach der Mauer um, wenn er zu aufmerksam betrachtet wurde. Aber heute fürchtete er, der Wärter könnte das dumpfe Geräusch vernehmen, sich darüber beunruhigen, ihm ein Ende bereiten und so irgend eine Hoffnung zerstören, die schon in der Vorstellung Dantes' letzte Augenblicke verschönerte.
Er erhob sich daher in seinem Bette und begann, seine Stimme möglichst verstärkend, über alle möglichen Gegenstände zu sprechen, über die schlechten Speisen, die man ihm brachte, über die Kälte, die er in seinem Kerker leiden müsse; er murrte und brummte und ermüdete die Geduld des Wärters, der gerade an diesem Tage sich für den Gefangenen Fleischbrühe und ein weißes Brot erbeten hatte. Zum Glücke glaubte er, Dantes rede im Fieber; er stellte die Speisen auf den schlechten, wackligen Tisch und entfernte sich.
Nun fing Edmond wieder an, freudig zu horchen. Das Geräusch wurde so deutlich, daß er es jetzt ohne die geringste Anstrengung hören konnte.
Es unterliegt keinem Zweifel mehr, sagte er zu sich selbst, da dieses Geräusch fortdauert, obgleich es bereits Tag ist, so muß es ein unglücklicher Gefangener wie ich sein, der an seiner Befreiung arbeitet. Oh! wenn ich bei ihm wäre, wie wollte ich ihn unterstützen!
Dann schwand plötzlich wieder die Hoffnung in seinem Gehirn, das an das Unglück gewöhnt war und nur schwer an etwas Freudiges glauben konnte. Er kam auf den Gedanken, das Geräusch werde durch Arbeiter verursacht, die der Gouverneur irgend eine Mauerarbeit machen lasse.
Er konnte sich hiervon leicht überzeugen; aber wie sollte er eine Frage wagen? Er konnte allerdings warten, bis sein Kerkermeister wiederkäme, konnte ihn das Geräusch hören lassen und seine Miene beobachten, wenn er es hörte. Aber hieß das nicht die kostbarsten Interessen für einen kurzen Genuß verraten? Edmond fand nur ein Mittel, scharfe Überlegung und klares Urteil wiederzugewinnen: er wandte seine Augen nach der noch rauchenden Fleischbrühe, die der Gefangenwärter auf den Tisch gestellt hatte, ging wankend hin, setzte die Tasse an den Mund und schlürfte den Trank mit einem unbeschreiblichen Gefühle des Wohlbehagens.
Dann besaß er den Mut, sich fürs erste hiermit genügen zu lassen; er erinnerte sich, gehört zu haben, daß unglückliche Schiffbrüchige, die man vor Hunger entkräftet gefunden hatte, daran gestorben waren, daß sie zu gierig Speisen verschlangen. Er setzte daher das Brot, das er bereits zum Munde führte, auf den Tisch und legte sich wieder nieder. Bald fühlte er, daß der Tag in sein Gehirn zurückkehrte; er konnte wieder denken und seine Gedanken ordnen.
Dann sagte er zu sich selbst: Man muß die Probe machen, aber ohne jemand zu gefährden. Ist der, dessen Geräusch ich vernehme, ein gewöhnlicher Arbeiter, so brauche ich nuran die Mauer zu schlagen, und er wird sogleich seine Tätigkeit einstellen und zu erraten suchen, wer der Schlagende ist, und in welcher Absicht er schlägt. Da aber seine Arbeit befohlen ist, so wird er sie bald wieder fortsetzen. Ist er jedoch ein Gefangener, so wird ihn der Lärm erschrecken. Er wird befürchten, entdeckt zu werden, seine Arbeit aufgeben und erst am Abend, wenn er alles schlafend glaubt, von neuem beginnen.
Sogleich erhob sich Edmond zum zweitenmal. Diesmal wankten seine Beine nicht mehr, und seine Augen waren nicht mehr geblendet. Er ging in eine Ecke seines Gefängnisses, machte einen durch die Feuchtigkeit unterhöhlten Stein los und schlug gerade an der Stelle, wo das Geräusch am deutlichsten war, an die Mauer.
Er klopfte dreimal. – Schon beim ersten Schlage hörte das Geräusch wie durch einen Zauber auf. Edmond horchte mit aller Anstrengung. Eine Stunde verging, zwei Stunden vergingen, kein neues Geräusch ließ sich vernehmen. Voll Hoffnung aß Edmond einige Bissen von seinem Brot, trank ein paar Schluck Wasser, und bei der vorzüglichen Körperbeschaffenheit, mit der ihn die Natur begabt halte, befand er sich beinahe wieder wie zuvor.
Der Tag verging, die Stille dauerte fort. Die Nacht kam, ohne daß das Geräusch wieder begonnen hatte.
Es ist ein Gefangener, sagte Edmond mit unbeschreiblicher Freude zu sich selbst. Von dieser Zeit an erhellte sich sein Geist, und die Lust zum Leben erwachte mit voller Kraft. Die Nacht ging vorüber, ohne daß sich das geringste vernehmen ließ. Edmond schloß aber in dieser Nacht die Augen nicht.
Der Tag erschien, und der Gefangenwärter brachte die gewöhnlichen Lebensmittel.
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