Der Graf von Sainte-Hermine - Dumas, A: Graf von Sainte-Hermine - Le Chevalier de Sainte-Hermine
Winkel, die Plätze, die Gärten, in denen niemand weilte, die Klöster, die so stumm und unbewohnt wirkten wie die Säulengänge des Kolosseums.
Ich fragte mich, was sich zu solcher Stunde an diesen Stätten vor achtzehn Jahrhunderten ereignet haben mochte. Welche Menschen überquerten
hier den Schatten jenes Obelisken, der nun nicht mehr auf ägyptischen Wüstensand fiel? Nicht nur das antike Italien, auch das Italien des Mittelalters ist verschwunden. Dennoch ist die Ewige Stadt von den Spuren beider Italien geprägt. Wenn das moderne Rom seinen Petersdom und seine Meisterwerke vorweist, stellt ihm das antike Rom sein Pantheon und seine Ruinen entgegen; wenn jenes seine Konsuln vom Kapitol herabsteigen lässt, bringt dieses seine Päpste aus dem Vatikan herbei; der Tiber trennt diese in denselben Staub gebettete Pracht: Das heidnische Rom versinkt immer tiefer in seinen Gräbern, und das christliche Rom steigt allmählich in seine Katakomben zurück.«
Bonaparte hatte dieser poetischen Beschreibung Roms mit verträumter Miene gelauscht; seine Ohren hatten vernommen, was der Dichter sagte, doch sein Blick richtete sich ganz augenscheinlich in weitere Ferne.
»Monsieur«, sagte er, »begäbe ich mich nach Rom, insbesondere als Mitglied der französischen Gesandtschaft, sähe ich in Rom etwas anderes als die Stadt Cäsars, Diokletians oder Gregors VII.; ich sähe in ihr nicht allein die Erbin von sechstausend Jahren Geschichte, die Mutter der römischen Welt, anders gesagt: des größten Weltreiches, das es jemals gab, sondern ich sähe in ihr vor allen anderen Dingen die Königin des Mittelmeerraums, dieses großartigen, unvergleichlichen, von der Vorsehung geschenkten Gebiets, geprägt von den Zivilisationen aller Zeiten und Garant der Einheit aller Länder, dieses Spiegels, in dem sich Marseille, Venedig, Korinth, Athen, Konstantinopel, Smyrna, Alexandria, Kyrene, Karthago und Cadiz spiegeln durften und um das herum die drei Teile der Alten Welt Europa, Afrika und Asien aneinandergrenzen.
Dank dieser Stadt könnte derjenige, der über Rom und Italien gebietet, sich in jede Richtung und an jeden Ort begeben: über die Rhône in das Herz Frankreichs, über den Eridanos in das Herz Italiens, über die Meerenge von Gibraltar in den Senegal, zum Kap der Guten Hoffnung, in die beiden Amerikas, über die Dardanellen in das Marmarameer, zum Bosporus, zum Pontos Euxeinos, das heißt in das Land der Tataren, über das Rote Meer nach Indien, Tibet, Afrika, zum pazifischen Ozean, anders gesagt zur Unendlichkeit, über den Nil nach Ägypten, nach Theben, Memphis, Elephantine, nach Äthiopien, in die Wüste, anders gesagt, in das Unbekannte. In Erwartung künftiger Größe, die jene Cäsars oder Karls des Großen vielleicht übertreffen wird, wuchs die heidnische Welt um dieses Meer. Die Christenheit hat sie für einen Augenblick umarmt. Alexander,
Hannibal, Cäsar wurden an ihrem Rand geboren. Vielleicht wird man eines Tages sagen: ›Bonaparte wurde mitten darin geboren!‹ Mailands Echo lautet ›Karl der Große‹, das von Tunis lautet ›Sankt Ludwig‹. Die Invasionen der Araber haben sich am einen Ufer des Meeres ereignet, die Kreuzzüge am anderen. Seit dreitausend Jahren erhellt die Zivilisation diesen Raum. Und seit achtzehn Jahrhunderten beherrscht ihn der Kalvarienberg!
Wenn nun der Zufall wollte, dass Sie nach Rom zurückkehrten, wagte ich zu sagen: ›Monsieur de Chateaubriand, von Ihrem Standpunkt aus haben genug Dichter, genug Träumer und genug Philosophen Rom betrachtet; es ist an der Zeit, dass ein praktisch veranlagter Mensch die Weite des Horizonts erwägt, statt in Träumereien über die Stadt zu versinken. Die Stadt, die zweimal die Hauptstadt der Welt war, hat uns nichts mehr zu sagen, aber die große Ebene, die sich ganz allein bestellt und die wir das Meer nennen, hat uns alles zu sagen.‹ Wäre ich eines Tages Herr über Spanien, wie ich es über Italien bin, würde ich England die Meerenge von Gibralter versperren, selbst wenn ich dafür eine Zitadelle in den Tiefen des Ozeans verankern müsste. Und dann, Monsieur de Chateaubriand, wäre das Mittelmeer nicht länger ein Meer, sondern es wäre ein französischer See.
Sollte, was durchaus möglich ist, ein Mann Ihrer Fähigkeiten jemals nach Rom zurückkehren, während ich an der Macht wäre, dann würde ich Sie nicht mehr als Botschaftssekretär zurückschicken, sondern als Botschafter. Ich würde zu Ihnen sagen: ›Beschweren Sie sich nicht
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