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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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aber nicht zu unterschätzender Vorteil zugute. Selbst gemessen an den Söhnen von Persönlichkeiten wie Maecius und Sunnja hatte ich eine sehr gute Ausbildung genossen und zudem auf
    meinen Reisen ausreichende Umgangsformen erworben,
    um nicht als Bauerntölpel dazustehen, letzt, in Vindobona, achtete ich bei Empfängen und anderen Gelegenheiten
    darauf, die Verhaltensweisen der Hochgestellten
    nachzuahmen und dadurch meinem Benehmen weiteren
    Schliff zu verleihen. Ich lernte, meinen Wein mit Wasser zu verdünnen und mit Zimt und Kassie zu würzen und dieses Gebräu hinunterzustürzen, ohne mit der Wimper zu zucken oder einen von Wyrds Flüchen auszustoßen. Ich lernte, die Gemeinen verächtlich als Plebecula, »der Pöbel« zu
    bezeichnen. Und auf die römische Weise, mit einem leichten Fußtritt statt mit den Knöcheln, an Türen anzuklopfen. Ich muß zugeben, ich erhielt häufig die Gelegenheit, sehr diskret an verschlossene Türen zu klopfen.
    Wie ihre Männer und Väter, so ließen sich auch die
    hochgestellten Mädchen und Frauen von meiner Posse
    täuschen. Und die Aura der Allwissenheit, die mich umgab, schien auf die Frauen, Witwen, Matronen und Jungfrauen eine noch stärkere Anziehungskraft auszuüben. Denn sie ließen keine Gelegenheit aus, mich zu treffen, mir vorgestellt zu werden und sich mit mir zu unterhalten. Ich erkannte eine Eigenheit an mir, die mir bisher entgangen war. Zu meiner eigenen Überraschung fiel es mir nämlich leichter als
    anderen Männern, mich mit Frauen anzufreunden. Ich
    spreche hier nicht unbedingt von kurzen Abenteuern oder leidenschaftlichen Liebesaffären, sondern von engen
    Freundschaften, ob sie nun nur das Herz oder auch den
    Körper miteinbezogen. Nach und nach wurde mir auch klar, warum das so war.
    Gemeinhin werden Männer als den Frauen überlegen und
    sie beherrschend angesehen. Die meisten Männer sehen in Frauen mithin nicht mehr als ein Geschöpf, das sie nach Belieben benutzen können. Die meisten Männer - egal wie häßlich, alt, dumm, verkrüppelt, arm und nichtsnutzig -
    glauben, jede Frau haben zu können. Selbst wenn die Frau nobler Abstammung ist und der Mann ein gemeiner Sklave, ist er davon überzeugt, sie umwerben und gewinnen oder wenigstens entführen und vergewaltigen zu können, einfach weil er ein Mann ist. Auch ich habe spüren müssen, was die Welt als gut und richtig empfindet. Von Natur aus war ich ein halber Mann, und habe fast mein ganzes Leben als Mann
    unter Männern verbracht. Als erwachsener Mann war ich
    keineswegs unempfänglich für die Reize eines hübschen
    Mädchens oder einer schönen Frau, und wünschte oft, sie zu besitzen. Andererseits konnte ich keine Frau als
    minderwertig oder mir untertan betrachten, war ich selbst doch zur Hälfte Frau. Selbst in meiner Verkörperung als Mann, wenn ich mich verhielt und dachte wie andere
    Männer, mich so sehr wie sie als Mann empfand und
    wahrhaft männlichen Vergnügungen nachging, war die
    weibliche Hälfte meiner Natur nie ganz unterdrückt.
    Die Frauen, die ich bisher kennengelernt hatte, waren, bis auf wenige Ausnahmen, von der Arbeit ausgezehrte
    Bäuerinnen oder duckmäuserische Nonnen gewesen. Die
    Ausnahmen waren die fehlbare Schwester Deidamia, die
    galante Dame Placidia, die besserwisserische kleine Livia, die verruchte Domina Aetherea und die Clarissima Robeya.
    Hier nun pflegte ich Umgang mit intelligenten und gut
    erzogenen Frauen nobler Herkunft - manche von ihnen
    konnten sogar lesen und schreiben - und ich hatte erstmals die Gelegenheit, Frauen zu erleben, die nicht schon längst von lebenslanger Mühsal oder übertriebener Frömmigkeit zerbrochen oder von übermäßigem Ehrgeiz verzehrt worden waren. Ich fand heraus, daß sie dachten und fühlten wie ich, wenn ich Frau war.
    Männer, Traditionen, Gesetze und religiöse Dogmen
    haben verkündet, die Frau sei nicht mehr als ein zu füllendes Gefäß. Aber sie selbst weiß es besser. Und so sieht sie auch in Männern nicht nur ein Fascinum, dessen Aufgabe es ist, sie zu füllen. Frauen betrachten Männer mit anderen Augen als Männer Frauen. Er bewertet zuerst, wie gut sie aussieht und wie begehrenswert sie ist, sie hingegen
    versucht unter die Oberfläche zu blicken. Ich weiß das, denn so habe ich Gudinand beobachtet.
    Anfangs mögen die Frauen von Vindobona vielleicht nur
    neugierig auf einen Fremden mit angeblich so
    geheimnisvollen Kenntnissen gewesen sein. Aber mich
    schätzen lernten sie aus einem anderen Grund:

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