Der Greif
ich lehne Euer Ansinnen ab.‹«
Im Februar feierte die ganze Stadt die Luperkalien. In längst ergangenen Zeiten, sagt man, sollen bei den
Luperkalien Ziegenböcke geopfert worden sein. Sie wurden gehäutet, und aus dem Leder wurden lange Streifen
geschnitten, die zu Peitschen verarbeitet wurde. Seit
Menschengedenken aber sind die Luperkalien nichts weiter als ein harmloser Feiertag. Heute werden die Peitschen aus Stoffstreifen geflochten, und kleine, nackte Knaben laufen in Anlehnung an die uralte Zeremonie peitschenschwingend
durch die Straßen und schlagen die zahllosen Frauen, die sich ihnen in den Weg stellen, damit. Da die Peitschen früher aus den Häuten geiler Ziegenböcke gefertigt worden waren, glaubte man, das Peitschen würde die
Unfruchtbarkeit einer Frau heilen oder ihre Fruchtbarkeit steigern. Davon abgesehen dienten die Luperkalien nur als eine weitere Ausrede für ein geselliges Fest und Convivum.
Im März, an einem Tag, der eigentlich nicht mit roter
Kreide im Kalender markiert war, erhielten Vindobona und jede andere Stadt im Reich einen weiteren Anlaß für eine Festlichkeit. In der ersten Woche dieses Monats
verkündeten Botschafter in allen Provinzen, daß ein
gewisser Glyzerius am sechzehnten Tag vor den Kaienden des April das kaiserliche Purpur annehmen würde. Wenig war über diesen Glyzerius bekannt, nur, daß er in der Armee gewesen und nach dem fast gleichzeitigen Dahinscheiden des Imperators Anthemius und des Königmachers Riccimer aus der Versenkung aufgetaucht war. Nun wurde ihm der
Titel übertragen und allen römischen Bürgern befohlen, den Tag seiner Thronbesteigung zu feiern und dem neuen
Imperator »Salve atque flore!« zu wünschen. So unbekannt er war, begrüßte Vindobona doch die Gelegenheit, eine
Festlichkeit zu veranstalten. Da dies zumindest dem
Vorwand nach eine Staatsangelegenheit war, trugen bei den Festlichkeiten alle Frauen eine Stola und alle Männer eine Toga. Jetzt war ich froh, daß mein Schneider damals darauf bestanden hatte, eine Toga für mich anzufertigen.
Um der Wahrheit Genüge zu tun, muß ich jedoch
gestehen, daß dieses fast nur aus Gesellschaften und fadem Gerede bestehende Leben mich langsam, aber sicher
langweilte. Überall traf man dieselben Leute, die den ganzen Tag lang nur, wie man sagte, »Penelopes Netz spannen«, soll heißen, nach Abenteuern Ausschau hielten.
In der Zwischenzeit hatte ich alles gelernt, was diese Leute mir über die Manieren, Eigenheiten und
Beschäftigungen der Mobilität beibringen konnten. Sowohl ihr Verhalten als auch ihre Unterhaltungen kamen mir jetzt künstlich, aufgesetzt und blutlos vor.
Ich sehnte mich nach Bekanntschaften mit Menschen, die vielleicht weniger kultiviert, dafür aber um so greifbarer waren. Meine besten Freunde bisher waren einfache
Menschen gewesen. Wyrd hatte als gemeiner Soldat
angefangen, und Gudinand hatte sogar zum Abschaum der
Gesellschaft gehört. Langsam keimte in mir die Hoffnung auf, daß ich unter dem einfachen Volk vielleicht eher wieder so charakterstarke und umgängliche Freunde finden könnte.
Ganz wollte ich mich jedoch nicht aus den höheren
Kreisen Vindobonas zurückziehen. Die intime Gesellschaft der Frauen, die ich dort kennengelernt hatte, wollte ich nicht missen. Außerdem konnte ich nicht einfach so mir nichts, dir nichts in die schlechteren Viertel der Stadt hinabsteigen und mich beim Volk einschmeicheln. Egal ob die Plebecula die Bessergestellten bewunderten, beneideten oder
verabscheuten: sie alle kannten jeden einzelnen von uns, auch den Illustrissimus Thornareichs. Was ich brauchte, war eine neue Identität, eine, die ich ablegen und wieder
annehmen konnte, wann immer ich wollte. Das war leicht: Ich brauchte nur mein Geschlecht zu wechseln, indem ich meinen anderen Namen benutzte, und meine Frauenkleider und dazu noch ein wenig Schminke und etwas Schmuck
anlegte. Mein zweites Ich würde auch eine separate
Unterkunft benötigen. Almarich hatte Thiuda, der sich nach einer billigen Herberge erkundigt hatte, das Haus einer gewissen Witwe genannt. Ich erkundigte mich bei ihm, wie ich dorthin würde finden können.
»Der Schuppen der Widuwo Dengla?« Er verzog das
Gesicht. »Vai, Euer Hohheit, warum solltet Ihr dorthin gehen wollen?«
»Um geheime Botschaften abzuholen«, log ich, »und
meine Antworten darauf auszusenden. Ich habe mit Thiuda, meinem Diener und Agenten, verabredet, daß wir das Haus der Witwe dafür benutzen würden.«
»Gudisks
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