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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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angebracht gewesen, aber mir war auch keineswegs danach, in Tränen
    auszubrechen.
    »Hat man eine solch unschuldige Erscheinung jemals
    zuvor gesehen?« wandte sich Maecius an die
    Versammelten. »Hier, dieser Mann ist im Besitz geheimen Wissens.« Aber in seiner Stimme lag mehr Bewunderung als Anklage, und dasselbe las ich in den mir zugewandten
    Gesichtern.
    »Das Imperium selbst«, fuhr Maecius fort, »hat mich zum Präfekten dieser Provinz ernannt. Und was weiß ich? Nur, daß Anthemius im Juli hinterrücks ermordet wurde, auf
    Betreiben seines eigenen Sohnes, des Mannes, der ihn auf den Thron gehievt hatte, dem Königsmacher Riccimer.
    Genau vierzig Tage später ist Riccimer selbst tot, angeblich eines natürlichen Todes gestorben. Und ein anderes seiner Geschöpfe, Olybrius, wird zum Herrscher über das westliche Imperium ausgerufen. Und jetzt, nur zwei Monate nach
    seinem Aufstieg, ist auch Olybrius tot. Sprecht, Tornaricus.
    Ich weiß, Ihr wißt es. Wer wird unser nächster Imperator sein? Und wie lange?«
    »Sprecht, Tornaricus«, stimmten die anderen ein.
    »Aber das geht nicht«, sagte ich, grinsend angesichts ihrer Einfältigkeit.
    »Da, habe ich es nicht gesagt?« röhrte Maecius, nicht
    unfreundlich. »Einige unter euch, die ihr euch bemüht, mächtig zu werden, nehmt euch ein Beispiel an Tornaricus.
    Einem Mann, dem man Geheimnisse anvertrauen kann,
    dem werden sie anvertraut. Beim Styx, ich wünschte, ich würde Eure Quellen kennen. Tornaricus, wer sind Eure
    Agenten? Sind sie käuflich?«
    »Kommt, Tornaricus«, sagte einer der Stadtältesten.
    »Wenn Ihr Euch schon weigert, den Namen von Olybrius'
    Nachfolger zu nennen, dann sagt uns wenigstens, was wir aus Ravenna zu erwarten haben. Aufruhr? Verheerungen?
    Was steht uns bevor?«
    »Ich kann nicht«, wiederholte ich. »Über die Vorgänge in Ravenna kann ich euch leider nichts sagen.«
    Um mich herum hörte ich es wispern.
    »Er könnte wohl, will aber nicht.«
    »Trotzdem, er hat weder Aufruhr noch Verheerungen
    ausgeschlossen.«
    »Nur über Vorgänge in Ravenna nicht, sagt er.«
    Als drei Wochen später dann in Vindobona die Kunde von dem seit vier Jahrhunderten mächtigsten Ausbruch des
    Vulkans Vesuv in der Provinz Campania die Runde machte, beäugten mich meine Bekannten mit unermeßlichem
    Respekt und größter Bewunderung. Allgemein wurde
    beschlossen, ich sei allwissend, nicht nur was die Affären des Staates, sondern auch was die der Götter anging.
    Von da an wurde ich in Gesellschaften oft beiseite
    gezogen und von diesem oder jenem vermögenden Mann
    um Rat bezüglich einer Geschäftsentscheidung
    angegangen, von dieser oder jener Dame gebeten, den Rat ihres Astrologen zu kommentieren. Junge Männer wollten wissen, ob ihre Vorgesetzten wirklich mit ihrer Arbeit zufrieden seien und welche Aussichten sie auf Beförderung hätten, junge Frauen eher, was ihr Vater wirklich von diesem oder jenem ihrer Schneider hielt.
    Aber ich verweigerte mich allen -
    meinen
    Standesgenossen höflich, Gemeinen herablassend - denn
    nur durch Schweigen über Dinge, von denen ich nichts
    verstand, hatte ich es zu einem gewissen Ruf gebracht.
    3
    Jedermann kannte mich unter dem Namen, den Thiuda
    erdacht hatte, Thornareichs (oder, häufiger, Tornaricus), was alle als Beweis meiner Abstammung aus einer
    hochgestellten gotischen Familie ansahen. Wenn sich in einer Unterhaltung die Gelegenheit ergab, so erwähnte ich ganz beiläufig »meine Besitztümer«, was meine Zuhörer
    davon zu überzeugen schien, daß ich irgendwo Land
    besäße. Der Präfekt hatte bereits festgestellt, daß ich über Spione verfügte, also mußte ich geheimes Wissen über alle Vorgänge im Imperium besitzen. Diese Fiktion wurde ständig wiederholt, und der günstig gelegene Ausbruch des Vesuvs brachte mir auch noch den Ruf eines Mannes ein, dem auch die Zukunft nicht verborgen war, eine Auszeichnung, die ich ansonsten nie hätte erringen können. Da ich über genügend Mittel verfügte, mich angemessen zu kleiden, in der besten Herberge der Stadt zu logieren, und, wenn ich mich mit den anderen jungen Männern in den Tavernen vergnügte, Runde auf Runde mitzuhalten, hielt man mich für viel
    wohlhabender, als ich war. Vor allem aber klagte ich nicht -
    wie andere, wirklich reiche Männer endlos über Ausgaben, Steuern und Löhne. Und darüber hinaus war ich ein junger Mann im heiratsfähigen Alter von, so wurde mir gesagt, anziehendem Äußeren.
    Darüber hinaus kam mir ein unsichtbarer,

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