Der Greif
ich
betrachtete und behandelte sie nicht wie andere Männer. Ich verhielt mich ihnen gegenüber so, wie ich als Frau wollte, daß sich Männer mir gegenüber verhielten. Mehr brauchte es nicht. Viele Mädchen und Frauen wurden intime
Freundinnen von mir, und viele machten deutlich, daß sie gerne noch intimer werden würden, einige wurden es.
Gewöhnliche Männer, so wage ich zu sagen, hätten aus
diesem überreifen Garten nur die schönsten und
vollkommensten Blumen gepflückt. Aber ich sah hinter die Fassaden und wählte diejenigen aus, die mir am teuersten waren, ohne Rücksicht auf Alter und Aussehen. Manche
waren schön, aber nicht alle. Einige waren noch jungfräulich unberührt und ich ihr erster Liebhaber. Sie mußten vorsichtig gelehrt werden, und ich glaube, ich war ein guter Lehrer.
Andere waren Matronen, die ihre Blütezeit hinter sich hatten, aber keine Frau ist jemals zu alt, um sich fleischlichen Genüssen hinzugeben, und einige dieser Frauen konnten
mich noch Dinge lehren.
Eine hochgeborene Dame, die ich hier Dona nennen
werde, war die erste, deren unmißverständliches Angebot ich annahm. Es genügt zu sagen, daß sie eine sehr schöne Frau mit veilchenblauen Augen war, aber auf weitere
Einzelheiten, die ihre wahre Herkunft entdecken könnten, verzichte ich besser.
Erregt, aber auch etwas ängstlich, betrat ich in jener ersten Nacht ihre Gemächer. In einer gewissen Sorge
entkleidete ich mich in ihrer Gegenwart - nicht um mein männliches Organ, das sich zu einem harten Fascinum
aufgerichtet hatte; auch nicht um meine mädchenhaften
Brüste, denn indem ich meine Brustmuskeln anspannte,
konnte ich sie fast verschwinden lassen. Vielmehr besorgte mich mein Mangel an Körperbehaarung. Bisher war mir nur Schamhaar und Achselhaar gewachsen. Dona würde es
vielleicht seltsam finden, daß ich über keine männlichen Haare auf der Brust, den Beinen oder den Unterarmen, ja noch nicht einmal über den Ansatz eines Bartes, verfügte.
Meine Sorge stellte sich als überflüssig heraus. Dona
entledigte sich erwartungsvoll ihrer eigenen Gewänder, bis auf, wie es der weibliche Anstand vorschrieb, ein
Kleidungsstück. Dabei erwies sie sich als wenig prüde, denn was sie anbehielt, war nicht mehr als ein dünnes, um ihre schlanke Hüfte geschlungenes Goldkettchen. So sah ich, daß an Donas Körper, abgesehen von ihrem
rabenschwarzen Haupthaar, kein einziges Haar wuchs. Sie war ein wenig überrascht, mich nicht gleichfalls überall glatt und unbehaart zu finden. So erfuhr ich wieder etwas Neues: für die Mitglieder der römischen Nobilität, sowohl der Männer als auch der Frauen, war es üblich, bis auf die
Kopfbehaarung jeglichen Haarwuchs am Körper sorgsam zu entfernen.
»Wir bemühen uns«, Dona sprach, als ob sie einem
zurückgebliebenen Kind etwas erklären müßte, »nicht den wilden Barbaren zu gleichen, die so haarig sind wie die Felle, die sie tragen. Aus welchem Grund, teurer Torn, hast du diese drei nutzlosen Überbleibsel nicht entfernt?«
»Es ist der Brauch meines Volkes«, sagte ich, »sie als Schmuck zu tragen.« In Wahrheit brauchte ich das
Schamhaar, um zu verbergen, daß ich keinen Hoden besaß.
»Ahus alia via«, tat sie die Sache unbeschwert ab, »davon abgesehen bist du ein sehr ansehnlicher junger Mann.« Sie ließ ihren Blick hungrig über meinen Körper gleiten. »Diese kleine Narbe an deiner Augenbraue lädt zum Küssen ein.
Aber die leuchtende Narbe an deinem rechten Arm
beeinträchtigt die Makellosigkeit deines Körpers. Woher kommt diese Narbe?«
»Eine Dame« log ich, »die eines Nachts in ihrer Erregung ihr Verlangen nicht mehr bändigen konnte... «
»Euax!« rief Dona mit einem verräterischen Glänzen in
den Augen aus. Verführerisch räkelte sie sich in ihrem großen Bett.
Der Moment, der mir die meisten Sorgen bereitete, war
gekommen. Ich hatte nur einmal zuvor mit einer Frau
verkehrt, und damals unter falschen Vorzeichen. Obwohl ich alles, was ich in dieser Nacht mit Dona tun würde, bereits mit Deidamia getan hatte, war ich damals Schwester Thorn gewesen und hatte mich vollkommen als Frau empfunden.
Nun aber tat ich es als Mann, so wie Gudinand es mit Juhiza getan hatte.
Als ich Dona in einer leidenschaftlichen Umarmung umfing wie nur soll ich das begreiflich machen? - erinnerte sich wenigstens ein Teil meines Bewußtseins daran, wie ich
Gudinand gelehrt hatte, seine Finger, seine Lippen und sein Fascinum zu gebrauchen. Gleichzeitig, und zu
Weitere Kostenlose Bücher