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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Gesellschaft genoß. Ich verdanke dir mein Leben. Ich weiß wohl, daß du dickköpfiger Ostgote Dank nicht annimmst, aber trotzdem hoffe ich, dir eines Tages zu Gefallen sein zu können.«
    »Sehr gut«, sagte er freundlich, »solltest du hören, daß König Babai und die Sarmater irgendwo wieder wüten, geh dorthin. Du wirst mich im Kampf gegen sie finden. Ich lade dich herzlich ein, an meiner Seite zu kämpfen.«
    »Das werde ich. Mein Wort darauf. Huarbodäu mith
    gawairthja.«
    »Thags izvis, Thorn. Aber ich hoffe, nicht immer in Frieden zu ziehen. Einem Krieger ist der Frieden wie der Rost dem Eisen. So ezu mir wie ich zu dir sage: Huarbodäu mith
    blotha.«
    »Mith blotha«, echote ich und erhob zum Gruß meinen
    Becher voll blutroten Weines.
    Den ganzen Winter über und sogar noch länger blieb ich in Vindobona, denn die Stadt bot allerlei Zerstreuung und Zeitvertreib - vorausgesetzt, man war jemand, konnte sich die Vergnügungen leisten und erwies sich dadurch als
    würdig, an ihnen teilzuhaben.
    Zwar war ich lange nicht so vermögend, wie ich vorgab, aber der Schein genügte. Ich behielt meine arrogante Art gegenüber niedriggestellten Menschen bei, die sich vor mir verbeugten, katzbuckelten und sich mir unterwarfen, gerade so, als ob sie ihre Unterlegenheit bestätigen wollten.
    Gegenüber Personen die mir in etwa gleichrangig waren, konnte ich freier sein. Ich gab mich mit einigen wenigen, ausgesuchten Gästen der Herberge ab, die sich dadurch
    sehr geehrt fühlten. Sie führten mich bei ihren hochgestellten Bekanntschaften in der Stadt ein, die mich wiederum
    weiterempfahlen.
    Nach einiger Zeit wurde ich in die Häuser der vornehmsten Familien Vindobonas eingeladen, besuchte sowohl
    Familientreffen im kleineren Kreise als auch die großartigen Feste und Veranstaltungen, die den Winter dort beleben und hatte bald schon viele eigene Freunde unter den
    bedeutenderen Persönlichkeiten der Stadt.
    Es scheint unglaublich, aber während meines ganzen
    Aufenthaltes in Vindobona fragte mich niemand, noch nicht einmal meine Freunde, nach meinem genauen Stand,
    meiner Auszeichnung, meiner Abstammung oder meinem
    wirklichen Titel oder nach der Herkunft meines
    offensichtlichen Reichtums. Meine Freunde nannten mich einfach »Thorn«; andere meines Standes sprachen mich
    formeller mit »Clarissimus« oder dem gotischen Ausdruck
    »liudaheins« an.
    Vielleicht sollte ich hinzufügen, daß ich in diesen Kreisen nicht der einzige war, der eine Posse spielte. Viele, auch solche germanischer Abstammung, hatten römische
    Verhaltensweisen so weitgehend übernommen, daß es
    ihnen unmöglich war - oder sie zumindest so taten - die gotische Rune »Thorn« oder auch die Runen

»Kaunplushagl« auszusprechen. Sie verwendeten große
    Energie darauf, das »th« und das »kh« zu vermeiden, und sprachen meinen Namen unweigerlich auf die römische
    Weise aus, Torn also oder Tornaricus.
    Während ich mein Possenspiel weitertrieb und als der
    akzeptiert wurde, der ich vorgab zu sein, nutzte ich meine Position niemals dazu aus, irgend jemandem materiellen Schaden zuzufügen. Entgegen Thiudas Rat beglich ich in Abständen sogar, was ich dem Wirt der Herberge schuldete
    - und hörte auch auf, ihn verächtlich Knödel zu nennen, sondern sprach ihn als Amalrich an. Diese Zugeständnisse machten ihn mir gewogen, und so gab er mir viele wertvolle Hinweise, wie ich meinen Status am besten ausnutzen
    könnte.
    Schon früh entschied ich mich, mich meiner Rolle
    entsprechend zu kleiden. Ich ließ Amalrich wissen, daß ich, obwohl ich es zufrieden war, ohne Gepränge im Aufzug
    eines Waldmenschen zu reisen, nun wünschte, meine
    Garderobe zu vergrößern. Wo die besten Schneider,
    Schuhmacher, Juweliere und dergleichen zu finden seien, wollte ich von Amalrich wissen.
    »Aber Euer Hoheit!« rief er aus. »Ein Mann in Eurer
    Position geht nicht selbst, er läßt kommen. Erlaubt mir, das für Euch in die Hand zu nehmen, und seid versichert, daß ich nur diejenigen auswählen werde, die auch den Legaten, den Präfekten, den Herzogo und die anderen Liudaheins
    beliefern.«
    Schon am nächsten Tag stand ein Schneider mit seinen
    Gehilfen in meinen Gemächern, nahm Maß und legte mir
    verschiedenste Stoffmuster und zahllose Tuchballen zur Auswahl vor.
    An einem anderen Tag, genauer, bei Nacht, erschien ein Aurifex mit Ringen, Nadeln, Armreifen und Fibulae sowie unverarbeiteten Edelsteinen, die er nach meinem Belieben in Geschmeide umzuarbeiten anbot,

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