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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Hälfte der Krieger aus meiner Truppe, die dich aus dem Galopp heraus Pfeile abschießen sahen, sind inzwischen eifrig damit beschäftigt, Fußseile für ihre Pferde zu
    konstruieren. Sie scheinen deine Erfindung für brillant zu halten.«
    Ich sagte bescheiden: »Ach, es ist eine Erfindung, die sich aus einem Spiel meiner Kinderzeit heraus entwickelt hat.
    Deine Männer werden eine Zeitlang das Bogenschießen aus jeder Gangart des Pferdes heraus üben müssen, bevor sie diese Technik wirkungsvoll einsetzen können. Ich könnte es ihnen zeigen und beibringen, wenn du es wünschst.«
    »Väi, Thorn. Ich kann dir gar nichts befehlen, bevor du nicht einer der unseren bist, also mein Untertan und ein Krieger meiner Truppe.«
    Ich sagte gequält: »Ich dachte, daß ich mir meine
    Qualifikation allein schon dadurch erworben hätte, daß ich mit dir zusammen euer schreckliches Mahl aus
    Pferdefutterbrei einnahm.«
    »Nein, du mußt erst die Eide leisten.«
    »Die Eide?«
    »Du mußt in Gegenwart eines verantwortlichen Zeugen
    schwören, daß du dich von nun an als Ostgote mit deinen Stammesgenossen verbünden und mir ein treuer Untertan
    sein willst.«
    »Sehr gut. Ruf deinen Adjutanten oder wen immer man
    dafür braucht.«
    »Nein, nein. Die Frau tut's auch. Stell dich hier neben uns, Mädchen. Versuch, deines Amtes würdig auszusehen, und
    werde nicht wieder rot.« Daraufhin wurde sie natürlich erst recht rot.
    »Wie lautet der Schwur?« fragte ich.
    »Der Wortlaut ist nicht festgelegt. Benutze deine eigenen Worte.«
    Ich streckte also meinen Arm zum Salut aus und sagte so feierlich ich konnte: »Ich, Thorn, ein freier Mann und bisher ohne Nationalität, erkläre hiermit, daß ich vom heutigen Tage an ein Ostgote und ein Untertan von König
    Theoderich, dem Amaler, bin dem ich für mein ganzes
    Leben Treue gelobe... Reicht das?«
    »Großartig«, sagte er und erwiderte meinen Gruß.
    »Mädchen, bezeuge den Schwur!«
    »Ich bezeuge den Schwur«, flüsterte sie schüchtern und wurde so rot wie Falernerwein.
    Theoderich griff nach meinem rechten Handgelenk und ich umfaßte seines. Er sagte mit warmer Stimme: »Willkommen, Stammesbruder, Freund, Krieger, guter und treuer
    Untertan.«
    »Thags izwis, und mit ganzem Herzen. Nun habe ich
    endlich ein Volk, zu dem ich gehöre. Aber ist die Zeremonie denn damit schon beendet?«
    »Nun, ich könnte dich von unserem Priester noch zum
    Arier taufen lassen, das ist jedoch nicht Bedingung.«
    »Dann werde ich dich, mit deiner Erlaubnis, jetzt
    verlassen. Der Waffenschmied bat mich, später nochmals in seine Werkstatt zurückzukommen, damit er mir den Helm
    anpassen kann.«
    »Ja, geh nur, Thorn. Ich werde mich von neuem an das
    wenig aussichtsreiche Studium meiner Skizzen machen.
    Vielleicht kommt mir dabei doch noch eine neue Idee.
    Vielleicht lege ich mich auch eine Weile nieder« - er schaute auf das Mädchen, das noch röter anlief - »und meditiere ein Weilchen. Vielleicht läßt sich dann mein Genius oder sogar die Muse einer schönen Dienerin dazu herbei, mich zu
    inspirieren.«
    Ich hatte das Zimmer und das Haus bereits verlassen, als mir bewußt wurde, daß ich in gewisser Weise nicht die volle Wahrheit gesagt hatte, als ich dem König und meinem
    neuen Volk die Treue schwor. Ich hatte die Eide als »Thorn, ein freier Mann« abgelegt und fragte mich, ob es je von Bedeutung sein würde und könnte, daß ich es versäumt
    hatte - wenn auch nur insgeheim -, Theoderich auch die lebenslängliche Treue Veledas, einer freien Frau, zu
    geloben.
    Bevor ich mich zur Werkstatt des Waffenschmieds begab, ging ich zur Mauer, um mir das Tor zur Innenstadt genau anzusehen. Die Nacht war inzwischen hereingebrochen, und die Ostgoten standen nicht mehr um die Mauer herum, um Geschosse in die Innenstadt zu schleudern. Die gepflasterte Fläche vor dem Tor war daher menschenleer. In der
    Dunkelheit konnte ich schnell über den freien Platz huschen, ohne von den sarmatischen Wachen bemerkt zu werden
    oder zumindest, ohne ihren Pfeilen ausweichen zu müssen, und als ich mich erst unter dem Torbogen befand, war ich für sie völlig unsichtbar.
    Der Eingang war so breit, daß jeder noch so ausladende Wagen hindurchfahren konnte, und so hoch, daß er selbst für ein noch so hoch beladenes Gefährt kein Hindernis
    darstellte. Natürlich war es unter dem Torbogen noch
    dunkler als davor, so daß ich zur Überprüfung des Tores hauptsächlich meinen Tastsinn benutzen mußte. Soweit ich mit meinen Händen

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