Der Greif
reichen konnte, tastete ich das ganze Tor von einer Seite zur anderen ab - sowohl die beiden Torflügel wie auch die in einen davon eingelassene Halbtür.
Dabei fand ich heraus, daß die Balken und Bohlen, aus
denen man das Tor gefertigt hatte, tatsächlich so massiv waren, wie sie von weitem ausgesehen hatten. Ich konnte fühlen, daß die Bohlen kreuzweise verliefen. Auf der
Rückseite wurden sie zweifellos durch weitere, vertikal angebrachte Bretter verstärkt, und dahinter befand sich möglicherweise noch eine weitere Lage diagonal verlegter Bohlen. Die Hinterfront der Torflügel war sicherlich durch enorme Querbalken gesichert, die von einer Seite zur
anderen verliefen und in der Steinmauer verankert werden konnten. Das Tor hatte keine Scharniere, die man hätte lockern können; stattdessen war jedes Portal oben und
unten in Türangeln eingehängt, so daß es sich gut
schwingen ließ.
Auch wenn das Tor noch so unzerstörbar aussah und
seine zwei Torflügel auf so hervorragende Weise mit
Eisenbossen und Eisenbeschlägen verstärkt waren, so
bestand es doch überwiegend aus Holz. Außerdem war es
sehr alt, und Holz zieht sich mit den Jahren zusammen. Bald stieß ich mit meinen tastenden Fingern auf eine Lücke an der Stelle, wo die beiden Torflügel in der Mitte
aufeinandertrafen; zwischen ihrer unteren Kante und dem Pflaster der Zufahrtsstraße befand sich ebenso ein Spalt wie zwischen den Torflügeln und ihrer hölzernen Einfassung auf beiden Seiten des steinernen Torbogens. Die Kanten der eingelassenen Halbtür hatten auf allen Seiten ebenfalls kleinere Risse. Der Spalt zwischen der Unterkante der
Torflügel und dem Straßenpflaster war am größten. Er war ungefähr zwei Finger breit; alle anderen waren dagegen nicht breiter als ein Finger. Das hieß mit anderen Worten, daß keiner von ihnen groß genug war, um eine Brechstange anzusetzen, die dick genug gewesen wäre, um dem Tor
wirkungsvoll zuzusetzen, auch wenn sich noch so viele
Männer mit vereinter Kraft dagegengestemmt hätten. Es
waren jedoch immerhin Spalten und Risse vorhanden; es
mußte einfach irgend etwas geben, was man in sie einführen konnte, um das Tor zu zerstören, und ich glaubte auch zu wissen, was.
Also teilte ich meine Idee zumindest andeutungsweise
dem Waffenschmied und seinem ostgotischen Aufseher,
dem Wachmann Ansila, mit. Der Handwerker hatte die
Metallteile meines Helms bereits zugeschnitten und
zusammengefügt. Jetzt legte er ein Polster aus Stoff auf meinen Kopf, da, wie er sagte, der Helm innen noch mit Leder ausgekleidet würde. Dann stülpte er die fertige Form über das Stoffpolster und markierte das Metall an den
Stellen, wo die Wangenlappen und das Metallstück zum
Schutz der Nase angebracht werden sollten. Während der Schmied noch bei der Arbeit war, sagte ich zu ihm:
»Mir fiel auf, daß einige Teile des Helms mit Nieten
verbunden sind. Ein paar der Metallplatten wurden dagegen auf irgendeine Weise zusammengeschmiedet.«
»Zusammengelötet«, verbesserte mich Ansila.
»Ja«, sagte der Handwerker. »Um zwei Metallteile
zusammenzulöten, versehe ich sie mit vielen flachen Kerben und gebe als Lötmetall Bronzepulver dazwischen. Dann
klammere ich die Teile zusammen, erhitze sie, bis das Metall rot glüht, und hämmere sie so lange, bis sie untrennbar miteinander verbunden sind.«
»Könntet Ihr auf diese Weise auch von mir erfundene,
neuartige Waffen herstellen?«
»Ich konnte bisher noch jeden Auftrag ausführen, den man mir erteilte, solange es sich um ein Werkstück aus Metall handelte«, sagte er hochmütig.
»Dann gebt mir Euren Stift und etwas, worauf ich zeichnen kann.«
Der Schmied und der Wachmann schauten neugierig zu,
als ich den Gegenstand, der mir vorschwebte, auf eine
Holzschindel malte.
»Väi! Was für eine Art von Waffe ist denn das?« fragte Ansila. »Sie sieht ungefähr so aus wie eine übergroße
Erbsenschote; eine Erbsenschote, die so lang ist wie mein Unterarm.«
»Mit dieser Waffe sollen nicht Menschen getötet, sondern Dinge auseinandergesprengt werden. Stellt sie Euch vor wie die Trompete, die die Mauern von Jericho zum Einsturz
brachte«, sagte ich.
»Aber du könntest dieses Ding ebensogut selbst
herstellen, junger Mann«, sagte der Handwerker mit einem Blick auf meine Zeichnung. »Es läßt sich mit dem
einfachsten Werkzeug aus einem übriggebliebenen Stück
Metall zurechtbiegen.«
»Nein«, sagte ich. »Ich muß es sozusagen mit dem Schall der Trompete
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