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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Köder zu stürzen, wenn ich »Sláit!« rief, was »Töte!« bedeutet.
    Natürlich mußte ich immer wieder neue Schlangen fangen, da eine nach der anderen bei diesem Spiel zerrissen wurde.
    Danach brachte ich dem Adler bei, auf meine Schulter
    zurückzukehren, wenn ich »Juikabloth!« rief.
    Inzwischen waren die Federn des Adlers nachgewachsen.
    Als ich eines Tages wieder mit ihm auf einem leeren Feld stand, warf ich den Schlangenköder so weit weg, wie ich konnte. Dann gab ich den Adler mit einem Stoßgebet frei und schrie: »Sláit!« Er hätte jetzt geradewegs in die Freiheit zurückfliegen können, tat es aber nicht. Offensichtlich sah er in mir jetzt seinen Kameraden, Beschützer und Ernährer.
    Gehorsam stürzte er sich auf die tote Schlange, zerrte an ihr und warf sie übermütig herum, bis ich »Juikabloth!« rief und er auf meine Schulter zurückkehrte. Er blieb bei mir und leistete mir Dienste, von denen ich noch berichten werde.
    5
    Obwohl ich in St. Damian so stolz darauf war, weit mehr zu wissen als meine Altersgenossen, gab es noch viele
    Dinge, die ich nicht wußte - sogar über das Christentum, obwohl ich damit aufgewachsen war.
    Besonders zwei Dinge wußte ich so wenig wie ein
    ungebildeter Bauer: einmal, daß die katholische Kirche nicht so universell war, wie sie ihre Anhänger glauben machen wollte, und zum zweiten, daß das Christentum keineswegs so festgefügt, unteilbar und unbezwinglich war, wie die Priester es darstellten. Keiner meiner Lehrer sprach mit mir darüber - vielleicht wollten sie sich solch ungehörige Gedanken nicht einmal vor sich selbst eingestehen. Da
    jedoch meine Neugier, unter welcher meine Lehrer so litten, mit den Jahren nicht abnahm, fuhr ich fort, Fragen zu stellen und das Gelernte einer genauen Prüfung zu unterziehen, anstatt, wie man es von mir erwartete, alles blindlings zu akzeptieren.
    Ich erinnere mich noch an eine sonntägliche Messe im
    Winter, die mich besonders nachdenklich machte.
    Dom Clemens war als Abt unseres Klosters gleichzeitig
    auch Gemeindepfarrer des ganzen Tales, und die Kapelle unserer Abtei diente den Einheimischen als Kirche. Sie bestand aus einem einzigen großen Raum, der bis auf das Predigtpult leer war. Den Gemeindemitgliedern waren je nach Geschlecht und Stand bestimmte Plätze zugewiesen.
    Ich stand zusammen mit den Mönchen des Klosters, uns
    besuchenden Geistlichen und vornehmen Gästen, die nicht zum Klerus gehörten, neben dem Predigtpult. Die Bauern standen auf der rechten Seite des Raumes, die Frauen auf der linken. Abseits in einer Ecke standen arme Sünder, die Buße tun mußten.
    Erst als jeder an seinem Platz war, erschien Dom
    Clemens. Er trug die weißleinene Stola des Priesters über seiner Mönchskutte. Die Gemeinde begrüßte ihn mit dem
    »Halleluja«, und er grüßte zurück, indem er das »Heilig, heilig, heilig« sang. Die Gemeinde schlug das Kreuz und antwortete mit dem »Kyrie eleison«. Dann nahm Dom
    Clemens seinen Platz hinter dem Predigtpult ein, legte die Bibel auf das Pult und verkündete, der sonntägliche
    Predigttext sei der dreiundachtzigste Psalm, jener Psalm, in dem Gott um Hilfe gegen die gottlosen Edomiter, Ammoniter und Amalekiter gebeten wird.
    Dom Clemens trug den Psalm laut und langsam auf
    Gotisch vor, aber er las nicht aus der Bibel. Er las von einer Pergarnentrolle, die in gotischer Schrift geschrieben war, und zwar mit so großen Buchstaben, daß die Schriftrolle sehr umfangreich war. Sie war im Skriptorium mit Bildern ausgeschmückt worden, die den Predigttext illustrierten. Die Bilder standen auf dem Kopf, damit die Gemeinde sie
    betrachten konnte, wenn Dom Clemens die Schriftrolle beim Lesen entrollte. Nacheinander und ohne zu drängeln traten die Bauern zum Predigtpult vor, um die Bilder zu betrachten.
    Nur die Sünder blieben in ihrer Ecke. Kein Bauer besaß eine Bibel oder konnte lesen, und da viele so schwerfällig waren, daß sie nicht einmal der Predigt folgen konnten, halfen die Bilder ihnen, zumindest eine Vorstellung dessen zu
    bekommen, was ihnen erzählt wurde. Als Dom Clemens den Psalm vorgelesen hatte, begann er mit der Predigt.
    Verwundert hörte ich ihm zu.
    »Der Stammesname der Edomiter kommt von dem
    lateinischen Wort›edere‹, was›verschlingen‹heißt, daher nehmen wir an, daß der Stamm sich die Sünde der
    Schlemmerei zuschulden kommen ließ. Der Name der
    Ammoniter kommt von dem heidnischen Gott Jupiter
    Ammon, denn sie waren ein Volk von Götzendienern. Der
    Name

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