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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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der Amalekiten kommt von dem lateinischen
    Wort›amare‹, was leidenschaftlich lieben‹bedeutet - sie machten sich der Sünde der Wollust schuldig...«
    Nach der Predigt betete Dom Clemens auf Gotisch für die Heilige Katholische Kirche, für unseren Bischof Patiens, für die beiden königlichen Brüder, die zusammen das
    Königreich Burgund regierten, für deren Gemahlinnen und Familien, für das gemeine Volk, für eine gute Ernte in Balsan Hrinkhen und für Witwen, Waisen, Gefangene und Sünder
    überall auf der Welt. Er schloß auf Lateinisch: »Exaudi nos, Deus, in omni oratione atque deprecatione nostra...«
    Die Gemeinde antwortete: »Domine exaudi et miserere«,
    dann wurde es still. Einige Mönche trieben die sündigen Büßer aus der Kirche, und der Pförtner verriegelte das Portal hinter ihnen. Es folgte die Abendmahlsprozession. Die
    Mönche, die als Meßdiener fungierten, trugen drei
    Bronzegefäße herein, die mit einem weißen Tuch bedeckt waren: den Abendmahlskelch, den Hostienteller, auf dem die Hostien in Form eines menschlichen Körpers angeordnet
    waren, und die zylindrische Pyxis mit dem Rest des
    geweihten Brotes.
    Nach dem Abendmahlsgebet wurden die Hostien an Dom
    Clemens, die Zelebranten, die anderen Mönche, mich und alle getauften Gäste des Klosters verteilt. Dann tauchte Dom Clemens das Brot in den Kelch und sprach den Segen über uns. Während der Rest des geweihten Brotes an die
    Gemeinde verteilt wurde, sangen wir »Gustate et videte...«
    Als alle durch waren, sprach Dom Clemens das
    Dankgebet. Bevor er die Gemeinde entließ, machte er
    jedoch noch eine Bemerkung, die nicht in der Liturgie stand.
    Viele Gemeindemitglieder pflegten nur einen Teil des Brotes zu essen, den Rest aber mit nach Hause zu nehmen und
    diesen an Wochentagen nach dem Familiengebet zu
    verzehren. Dom Clemens ermahnte seine Gläubigen
    deshalb sonntags, das geweihte Brot nicht irgendwo im
    Haus herumliegen zu lassen, wo eine Ratte oder eine Maus davon essen könne, oder schlimmer noch »jemand, der
    nicht in der Heiligen Katholischen Kirche getauft worden ist«.
    Und mit einem letzten Segen entließ Dom Clemens seine
    Gemeinde.
    Ich hatte schon unzählige Male gehört, wie Dom Clemens diese Mahnung aussprach, aber ich hatte noch nie darüber nachgedacht, was für Menschen es außer katholischen
    Christen noch bei uns geben sollte. Wie bereits erwähnt, war mir schon lange aufgefallen, daß die Bauern Bräuche
    pflegten, die sich nicht so recht oder überhaupt nicht mit dem Christentum vereinbaren ließen. Außerdem hatte ich schon vor langem bemerkt, daß ein guter Teil der
    Bevölkerung von Balsan Hrinkhen nicht einmal an hohen
    Feiertagen den Gottesdienst besuchte. Natürlich gibt es in jeder Gemeinde »Besessene«, also Verrückte, welche die Kirche nicht betreten dürfen. Ich hatte jedoch bisher
    angenommen, daß die meisten, die nicht zum Gottesdienst erschienen, ganz einfach gottlos oder faul waren. Doch gleich am nächsten Tag sollte ich herausfinden, daß sich manche von ihnen eines Starrsinns besonderer Art schuldig machten, der noch viel schlimmer war.
    Zur vereinbarten Stunde marschierte ich mit meinen
    Wachstafeln zu Dom Clemens, um die Korrespondenz zu
    erledigen. Wie immer montags fragte der Abt mich, ob ich Fragen zur Predigt des vorangegangenen Tages hätte. Ich nickte und versuchte, meine Frage möglichst bescheiden und respektvoll vorzubringen: »Nonnus Clemens, ich habe eine Frage zu den hebräischen Völkern, die im Psalm
    dreiundachtzig erwähnt werden: Ihr habt in der Predigt gesagt, ihre Namen würden aus dem Lateinischen kommen
    oder auf den Namen eines alten römischen Gottes
    zurückgehen, Nonnus. Aber diese Völker des Alten
    Testaments hießen doch sicher schon so, bevor die Römer das Heilige Land besetzten und ihm ihre Sprache und ihre heidnischen Götter brachten...«
    »Sehr gut, Thorn«, antwortete der Abt und lächelte. »Du entwickelst dich zu einem sehr aufmerksamen jungen
    Mann.«
    »Aber dann... Wie konntet Ihr etwas sagen, von dem Ihr wußtet, daß es die Unwahrheit war?«
    »Um die Gemeinde von der Sündhaftigkeit der Feinde
    unseres Herrn zu überzeugen«, sagte Dom Clemens. Er
    lächelte nicht mehr, war aber auch nicht verärgert. »Ich bin sicher, daß Gott mir diese kleine Täuschung verzeiht - auch wenn du es nicht tust. Meine Gemeinde besteht
    überwiegend aus einfachen Leuten. Um die Bauern zum
    rechtmäßigen Glauben zu bekehren, erlaubt die heilige
    Mutter Kirche

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