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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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zumindest eine dabei: einen Stecken aus Tannenholz, der mit in Wachs getauchtem Flachs umwickelt war. An meinem Gürtel steckten Feuerstein, Feuerstahl und Zunder. Eine solche Fackel brennt viel heller als eine Kerze und
    genausolang. Bis zum Ende der Höhle drang ich jedoch nie vor.
    Auf einer der Felsbänke der Kaskaden machte ich eines
    Tages eine aufregende Entdeckung. An einem Teich
    bemerkte ich einen Felsen mit scharfen Kanten, der einer riesigen, auf dem stumpfen
    Ende stehenden Axt ähnelte. Wie die anderen Felsen war er ganz mit Moos bedeckt - oder fast ganz. Denn mir fiel auf, daß er eine Einkerbung hatte, als ob ein Holzfäller mit dieser Axt unbedacht auf etwas Hartes geschlagen und dadurch
    die Schneide beschädigt hätte. Die Kerbe sah aus, als ob sie von der Feile eines Schmieds stammte, einer guten Feile, die nicht schnell stumpf wird, denn die Kerbe war so breit und tief, daß mein kleiner Finger hineinpaßte. In ihr wuchs kein Moos; der Stein war glatt poliert wie feines Pergament, das man mit einem Maulwurfspelz poliert hat. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie die Kerbe da hineingekommen war, durch wen und aus welchem Grund. Es sollte noch eine
    Weile dauern, bis ich herausfand, welch besondere
    Bewandtnis es damit hatte.
    Doch alles zu seiner Zeit. Zunächst will ich mit der
    Beschreibung von Balsan Hrinkhen fortfahren.
    Wie schon erwähnt, gab es in unserem Tal Weiden für
    Schafe und Kühe, die aber natürlich nicht so groß waren wie die Weiden auf der Hochebene. Im Dorf gab es hübsche
    Vorgärten und weiter weg Getreidefelder, Obstgärten,
    Weinberge, Hopfenfelder und sogar Olivenhaine, denn das Tal war durch die Felsen so geschützt, daß Olivenbäume trotz der nördlichen Lage und der großen Entfernung von ihrer mittelmeerischen Heimat gediehen. Zwischen den
    bebauten Feldern befanden sich brachliegende Felder, auf denen ein Jahr alles wild wuchs.
    In den Gärten und Obstgärten und auf den Weiden und
    Feldern waren stets Männer, Frauen und Kinder bei der
    Arbeit. Ein fremder Beobachter hätte vermutlich nicht
    zwischen Bauern und Mönchen unterscheiden können, denn alle trugen dieselben Kittel aus Sackleinen mit Kapuzen, die sie vor Sonne und Regen schützten. Die Kleider der Männer und Frauen, die in den geistlichen Stand eingetreten waren -
    ob nun Mönch oder Nonne oder Bischof durften nicht feiner sein als das Gewand des ärmsten Bauern.
    Bei der Feldarbeit sahen die Mönche und Bauern nicht nur gleich aus, sie arbeiteten auch alle gleichermaßen stumm vor sich hin, mit Ausnahme einiger Schaf- und Ziegenhirten, die auf ihren Rohrflöten bliesen. Aber während die Mönche ein paar Worte mit mir wechselten oder mir zunickten, wenn ich zu ihnen aufs Feld kam, schienen die Bauern mich nie wahrzunehmen - sie schienen ausschließlich mit ihrer Arbeit beschäftigt. Ihr Blick war so leer wie der ihrer Kühe. Ich glaube allerdings nicht, daß sie absichtlich unfreundlich waren. Sie waren einfach träge Menschen.
    Eines Tages sah ich, wie ein älterer Mann und eine ältere Frau Olivenbäume mit Schafmist düngten. Ich fragte, warum zwischen den sauberen Baumreihen eine große, kreisrunde Lücke ausgespart war. Der alte Mann grunzte nur und fuhr mit seiner Arbeit fort, aber die Frau hielt inne und sagte:
    »Siehst du denn nicht, was in der Lücke wächst?«
    »Zwei andere Bäume«, sagte ich. »Schattenspendende
    Bäume.«
    »Ja, und einer davon ist eine Eiche. Oliven mögen keine Eichen. Sie tragen nicht, wenn sie neben Eichen stehen.«
    »Warum nicht?« fragte ich. »Neben der Eiche steht eine Linde. Der scheint es doch auch nichts auszumachen.«
    »Eichen und Linden wachsen immer zusammen, Junge.
    Vor langer Zeit, als es noch die alte Religion gab, beteten ein Mann und seine Frau, die einander sehr lieb hatten, zu den alten Göttern, sie möchten sie doch im gleichen
    Augenblick sterben lassen. Die Götter hatten Mitleid und erfüllten ihnen den Wunsch - und noch mehr. Nach ihrem Tod wurden die beiden wiedergeboren: als Eiche und Linde, die aus Liebe zueinander Seite an Seite stehen. Und so ist es bis heute geblieben.«
    »Slaváith, dummes Geschwätz!« knurrte ihr Mann.
    »Arbeite lieber!«
    Die Frau murmelte mehr zu sich selbst als zu mir: »Oh vái, früher war alles besser!« und griff wieder zur Mistgabel.
    Doch selbst die Bauern arbeiteten nicht den ganzen Tag.
    Abends trafen sich die Männer zum Würfelspiel und
    betranken sich mit Bier und Wein. Wenn sie die drei kleinen,

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