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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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denn
    keine Medizin... oder vielleicht eine Operation...?«
    Erneut wiegte er seinen Kopf hin und her und seufzte: »Es handelt sich hier nicht um eine Kampfverletzung, die ich mit einem einfachen Wundmittel heilen könnte. Da sie keine dumme Schlampe ist, die an Dämonen glaubt, hätte es auch keinen Sinn, ihr irgendwelche nutzlosen Zaubermittel oder Glücksbringer zu verschreiben, und schneiden würde das Geschwür lediglich dazu anregen, sich noch schneller
    auszubreiten. Ach, manchmal wünschte ich mir, wir lebten immer noch in der guten, alten Zeit. Damals setzte ein Lekeis einen Patienten mit einer rätselhaften und
    unheilbaren Krankheit einfach an die nächste große
    Weggabelung und hoffte, daß ein Vorbeireisender, vielleicht ein Fremder, die Krankheit erkennen und ihm sagen würde, wie man sie anderswo heilte.«
    »Gibt es denn gar nichts, was man tun könnte?«
    »Die Mittel, die jetzt noch bleiben, haben wenig Aussicht auf Erfolg. Einige der alten Griechen und Römer empfahlen, in solchen Fällen Eselsmilch zu trinken und in Wasser zu baden, in dem zuvor Weizenkleie gekocht wurde. Beides
    habe ich der Prinzessin bereits verordnet, obwohl es
    keinerlei Aufzeichnungen darüber gibt, daß diese Mittel jemals irgend jemandem auch nur die geringste Linderung gebracht haben. Da ich davon ausgehe, daß es sich bei dem Geschwür um Krebs handelt, gebe ich ihr außerdem
    verschiedene Pulver aus einer kalkigen, Krebsauge
    genannten Substanz; vielleicht haben diese ja tatsächlich irgendeine homöomerische Wirkung. Darüber hinaus
    verabreiche ich ihr nur noch ein aus der Zaunrübe
    gewonnenes Mittel, das das krankmachende Gewebe
    auflösen soll, sowie ein Öl aus den Beeren der
    Ochsenzunge zur Beruhigung ihrer Nerven. Wenn sie
    Schmerzen bekommen sollte, werde ich ihr kleine Mengen von der Wurzelrinde der Alraune geben. Auf dieses Mittel möchte ich jedoch erst dann zurückgreifen, wenn es sich nicht mehr vermeiden läßt, denn sie wird immer höhere
    Dosen davon benötigen.«
    »Und dennoch würdet Ihr ihr erlauben, diese Reise
    anzutreten?« fragte ich ungläubig.
    »Warum nicht? Zwischen Novae und Konstantinopel gibt
    es sehr viele Eselinnen, die man melken kann, und
    genügend Weizen, um Weizenkleie daraus zu gewinnen.
    Der Prinzessin könnte ich Medikamente für eine lange Zeit mitgeben, und Euch würde ich die Wurzelrinde der Alraune anvertrauen, damit Ihr ihr diese, falls nötig, verabreichen könnt. Eine Reise hilft Amalamena vielleicht mehr als viele Medikamente. Ich habe ihr bereits geraten, sich
    Unterhaltung und heitere Gesellschaft zu suchen. Seid Ihr ein unterhaltsamer Gesellschafter?«
    »Sie scheint mich lustig zu finden«, murmelte ich und
    setzte zu einer Frage an: »Habt Ihr Amalamena gesagt,
    daß...?«
    »Ne. Aber sie ist nicht dumm und weiß sehr wohl,
    wogegen Medikamente wie die Zaunrübe oder
    Beruhigungsmittel verschrieben werden. Vielleicht ergreift sie auch deshalb so begeistert diese Gelegenheit zu einer Reise, weil sie sich über ihr Schicksal im klaren ist.
    Offensichtlich möchte sie noch etwas von der Welt sehen, bevor sie stirbt. Seit sie hier in Novae geboren wurde, ist sie, soviel ich weiß, noch nie sehr weit über die Grenzen dieser Stadt hinausgekommen, und wenn sie lieber anderswo
    sterben möchte, nun... dann muß ich mir ihren Tod
    wenigstens nicht mitansehen.«
    »Das Schicksal Eurer wohl vornehmsten Patientin scheint Euch ziemlich gleichgültig zu sein«, sagte ich bissig.
    »Gleichgültig!?« Er wirbelte zu mir herüber und stach mir seinen knochigen Zeigefinger gegen die Nase. »Du
    unverschämtes Balg! Du sollst wissen, daß ich dabei war, als Amalamena geboren wurde. Sie war das süßeste,
    glücklichste und fröhlichste Kind, das ich je zur Welt gebracht habe. Jedes Neugeborene, das nach der Geburt
    hochgehalten wird und einen Klaps erhält, schreit, wenn es den ersten Atemzug seines Lebens macht; Amalamena
    hingegen lachte!«
    Während er mich zurechtwies, hatte der alte Mann zu
    weinen begonnen.
    »Deshalb sage ich ihr jetzt immer wieder: Versuch zu
    lachen, Kind, such dir etwas, was dich zum Lachen bringt.
    Auch ihretwegen habe ich es lange verflucht, einen Beruf ergriffen zu haben, der mich dazu befähigt, den Tod in all seinen schrecklichen Einzelheiten vorauszusehen, ohne ihn wirklich verhindern zu können.« Er wischte sich mit einem Ärmel über die Augen und sagte zu sich selbst: »Jugend dauert nicht... Schönheit vergeht... Vollkommenheit bleibt

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