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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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es?«
    »Diese Phiole enthielt bis vor kurzem einen Tropfen der Milch der Jungfrau Maria.«
    »Gudisks Himins! Ist das denn möglich? Es sind beinahe fünfhundert Jahre vergangen, seit die heilige Jungfrau das Jesuskind gestillt hat.« Als sie den Namen Jesus aussprach, fuhr sie mit ihrer Hand an die Stirn und bekreuzigte sich.
    »Nun, diese Phiole gehörte einst einer Äbtissin, und diese erklärte sie für echt. Ich hoffe, daß das Fläschchen dich beschützen wird, solange du dich in meiner Obhut befindest.
    Auf jeden Fall kann es nicht schaden, es zu tragen.«
    »Ne, und damit es seine Funktion besser erfüllt, werde ich ebenfalls an seine Echtheit glauben.« Sie nahm eine dünne Goldkette von ihrem Hals und zeigte mir die beiden kleinen Schmuckstücke, die bereits daran hingen. »Mein Bruder hat sie mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt.« Wieder blickte sie mich mit diesem schelmischen Lächeln an, das ich auch schon oft auf Theoderichs Gesicht gesehen hatte.
    »Jetzt dürfte ich also gegen jegliches Unheil geschützt sein, nicht wahr?«
    Ich mußte ihr beipflichten. Eines der Schmuckstücke war, so wie es aufgehängt war, ein kleines, goldenes, am oberen Ende leicht abgeflachtes Kreuz. Und sie hatte deshalb so schelmisch gelächelt, weil das Kreuzchen sich auch
    andersherum aufhängen ließ und dann den roh behauenen
    Hammer Thors darstellte. Bei dem zweiten Schmuckstück
    handelte es sich um eine zierliche Filigranarbeit, die Theoderichs Monogramm in Gold nachbildete. Nun, da auch noch meine Phiole mit der Milch der Jungfrau Maria an
    dieser Kette hing, war die Prinzessin im Grunde genommen vierfach gegen Unheil geschützt. Ehrlich gesagt wünschte ich mir jedoch im stillen, die Phiole möge mehr von ihr fernhalten als nur irgendwelche Mißgeschicke. Der Lekeis Frithila hatte über »Glücksbringer« gespottet, und vielleicht war ich ja auch nur eine der »dummen Schlampen«, die er ebenfalls verachtete; dennoch hoffte ich, daß die Phiole sich als ein wirksames Amulett erweisen und die schreckliche Krankheit Amalamenas abwenden würde.
    »Ich bin ja nun bestens gegen alles gewappnet«, sagte sie immer noch lächelnd, »aber sag mir, Thorn, warum läßt du dir eigentlich keinen guten gotischen Bart wachsen,
    damit...?«
    »Damit mein schmaler Hals geschützt ist? Diese Frage
    habe ich schon einmal gehört. Nun, erstens schickt mich Theoderich als seinen Gesandten in ein Land, in dem
    Griechisch gesprochen wird; und die Griechen tragen keine Barte mehr, seit Alexander sie abschaffte. Wie schon der Heilige Ambrosius sagte: ›Si fueris Romae..,‹ oder in diesem Fall: ›Epei en Konstantinopolei...‹«
    Amalamena hörte auf zu lächeln und zerschnitt
    nachdenklich das gebratene Fischfilet, das uns serviert worden war. Nach einer Weile sagte sie dann: »Ich verstehe, daß du am Hof Kaiser Leos freundlich empfangen werden
    möchtest, bin mir jedoch nicht sicher, ob man das tun wird.«
    »Warum sollte man mich nicht freundlich empfangen?«
    »Es gibt da gewisse Dinge... und Bestrebungen... von
    denen du vielleicht noch nichts weißt. Ist dir in dem
    Armeelager, das du heute Nachmittag besucht hast, irgend etwas besonderes aufgefallen?«
    »Ich hatte ein größeres Lager mit mehr Kriegern erwartet.«
    Sie nickte wortlos. »Sind die meisten von Theoderichs
    Truppen bereits unterwegs nach Singidunum, oder gibt es anderswo noch weitere Armeelager?«
    »Ja, einige der Truppen sind schon auf dem Weg zu
    Theoderich, ein paar weitere sind über ganz Moesien
    verteilt, aber du schätzt die Stärke der Theoderich zur Verfügung stehenden Streitmacht möglicherweise falsch
    ein.«
    »Nun, ich weiß, daß er Singidunum mit nur sechstausend berittenen Kriegern belagert hat. Über wieviel Mann verfügt er denn insgesamt?«
    »Es kommen ungefähr noch tausend Reiter sowie
    zehntausend unberittene Soldaten hinzu.«
    »Was? Mir wurde einmal erzählt, daß euer Volk, ich meine unser Volk, ungefähr zweihunderttausend Menschen zählt.
    Wenn nur ein Fünftel aller Ostgoten Krieger sind, dann wäre das eine Streitmacht von vierzigtausend Mann.«
    »Wenn alle Ostgoten meinen Bruder als ihren König
    anerkennen würden, dann wäre deine Rechnung richtig. Du hast also noch nichts von dem anderen Theoderich gehört?«
    Ich versuchte mich daran zu erinnern, was mir der alte Wyrd vor langer Zeit einmal an einem Lagerfeuer über die Goten erzählt hatte. »Ich erinnere mich nur dunkel, daß es bei den Goten mehrere Theoderichs gegeben

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