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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Sie
    nehmen ihre Aufgabe sehr ernst und halten beide Augen
    offen. Sie sahen ihn, wie er verstohlen in die Gemächer der Prinzessin schlich und wieder herauskam. Dann nahmen sie ihn in Gewahrsam, bevor er die Siegel aufbrechen und
    feststellen konnte, daß er eine wertlose Imitation entwendet hatte.«
    Ich nahm das zwar mit Erleichterung zur Kenntnis, war
    aber doch erschrocken - und das in doppelter Hinsicht. Nicht nur daß mein persönlicher Wächter versucht hatte, den Plan zu vereiteln, bei dessen Ausarbeitung ich mir so große Mühe gegeben hatte. Ihm mußte jetzt auch klar sein, daß ich, Saio Thorn, nicht derjenige war, der ich schon so lange zu sein vorgab. Er hatte die Rolle direkt unter meinem schlafenden Kopf hervorgezerrt. Selbst in der Dunkelheit mußte ihm aufgefallen sein, daß Saio Thorn und das Chasar-Dienstmädchen ein und dieselbe Person waren. Nun, mich traf genausoviel Schuld wie den Dieb. Das Verhältnis
    zwischen den Schwestern Amalamena und Veleda war so
    intim und vertraut geworden, daß ich mir gestattet hatte, auf unverantwortliche Weise bequem und selbstgefällig zu
    werden. Nun waren also sowohl Thorn als auch Veleda in Gefahr, demaskiert und öffentlich gebrandmarkt, schließlich noch bestraft oder vertrieben oder sogar vernichtet zu werden. Immerhin hatte Daila sich noch nicht zu diesem Thema geäußert, und er hatte mich auch noch nicht fragend oder befremdet gemustert - bis auf den verständlichen, mißbilligenden Blick, den er mir zugeworfen hatte -, deshalb zeigte ich mich auch nur über den Diebstahl äußerst
    betroffen.
    »Was könnte einen Ostgoten dazu bewegen, sich so zu
    erniedrigen, daß er seinen eigenen König, sein eigenes Volk und seine eigenen Landsleute verrät?«
    Der Optio bemerkte trocken: »Wir haben ihm diese Frage auch gestellt und, wie du sehen kannst, sehr nachdrücklich.
    Er gestand schließlich, daß er sich in dem Gästehaus in Konstantinopel in eines der Chasar-Mädchen verliebt hatte.
    Sie verleitete ihn zu diesem Verrat.«
    Ein weiterer Punkt, dachte ich bei mir, für den ich
    mitverantwortlich war, weil ich es gewesen war, der die beiden Bogenschützen aufgefordert hatte, sich im Haus
    niederzulassen statt draußen auf dem Vorhof mit ihren
    Leuten.
    Ich seufzte: »Ich war beklagenswert nachlässig.«
    Daila konnte sich nicht enthalten, knurrend zuzustimmen:
    »Javvaüa!«
    »Ich nahm als selbstverständlich an, daß alle Bediensteten des Xenodokheion Spione seien. Es kam mir nie in den
    Sinn, daß sie einen meiner eigenen Leute auf ihre Seite ziehen könnten.«
    »Und noch dazu für eine so gemeine Sache«, grollte der Optio. »Aus Liebe, der Gipfel der Geschmacklosigkeit! Aus Liebe zu einer Gästehauseinrichtung, die schon von
    unzähligen Gästen zuvor benutzt wurde. Der Tod eines
    Kriegers wird ihm ganz sicher nicht gewährt werden.« Daila ging hinüber zu dem zusammengesunkenen Mann und
    versetzte seinem baumelnden Kopf einige harte Schläge.
    »Wach auf, du erbärmliches Nichts! Wach auf, damit du
    gehängt werden kannst!«
    »Er hat es natürlich verdient«, sagte ich. »Laß uns jedoch kein großes Schauspiel daraus machen, das die
    Einheimischen hier in Erstaunen versetzt und sie darauf aufmerksam macht, daß wohl in unseren Reihen
    Unstimmigkeit herrscht. Ne, Optio. Wir wollen ihn schnell töten, ihn zu den Gepäckstücken auf einen unserer Lasttiere packen und seinen Leichnam dann an einem unbewohnten
    Ort auf unserem Weg zurücklassen.«
    Daila murrte ein wenig, sagte aber schließlich: »Ja, du hast recht.« Er legte die Hand an den Griff seines Schwerts.
    »Willst du es tun, Saio Thorn, oder ich?«
    »Halt ein«, sagte ich, weil mir plötzlich ein
    besorgniserregender Gedanke durch den Kopf schoß, und
    nahm ihn nochmals zur Seite. »Könnte es sein, daß der
    Bogenschütze seiner Geliebten etwas von unserer vorab
    entsandten Botin gesagt hat?«
    »Ausgeschlossen. Weder er noch irgendein anderer Mann
    außer dir und mir selbst wußte davon, Saio Thorn. Ich allein begleitete das Mädchen zum Stadttor. Und nun kann der
    erbärmliche Verräter auch keinem mehr erzählen, daß wir lediglich einen gefälschten Vertrag bei uns haben.«
    Die Tatsache, daß Daila mich als »Mann« bezeichnet
    hatte, ermutigte mich zu fragen: »Hat er bei seinem
    Geständnis noch von... irgend etwas anderem
    gesprochen?«
    Der Optio zuckte die Schultern. »Der Rest war sinnloses Gestammel. Ich fürchte, ich habe ihn zu oft und zu hart geschlagen.«
    Als habe diese

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