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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Stricke, an denen unsere Reittiere angepflockt waren, und jagten sie in die Flucht, um uns keine Gelegenheit zu geben, sie zu benutzen.
    Alle unsere Leute, ich selbst eingeschlossen, hatten das Essen oder Eßgeschirr fallen lassen und das Schwert
    herausgerissen. Sie alle stürmten nun zu den Stellen, an denen sie ihre schwereren Waffen deponiert hatten, doch ich zögerte noch, unschlüssig, wo ich mich am besten postieren sollte. Dann stand plötzlich Optio Daila neben mir, nur schwach zu erkennen im übriggebliebenen Schein des
    Feuers, und schrie Befehle:
    »Männer! Macht euch bereit, zu Fuß zu kämpfen!
    Durchbohrt mit euren Speeren ihre Pferde!« Dann wandte er sich an mich und schrie: »Geh! Hol' die Prinzessin und...«
    »Sie wird bewacht, Daila.«
    »Ne, das stimmt nicht. Einer der Wachposten hatte
    bestimmte Anweisungen für den Fall, daß wir angegriffen würden, den anderen Verräter zu erschlagen und dann
    wieder zu uns zu stoßen. Hier kommt er gerade angerannt.
    Geh' jetzt und...«
    »Erschlagen?« echote ich bestürzt. »Welcher andere
    Verräter?«
    »Das ist doch offensichtlich. Sie wußte, daß wir uns für diesen Weg entschieden hatten. Irgendwie muß sie ihnen eine Nachricht zugespielt haben. Die Chasar-Kammerzofe.«
    Ich sagte oder wahrscheinlich war es mehr ein Klagelaut, den ich von mir gab: »Ach, Daila, Daila... Unglückseliger...«
    »Hörst du mich? Geh' jetzt! Falls die Prinzessin gefangen wird, dient sie ihnen als Geisel. Bring' sie zum Fluß.
    Versuche, flußabwärts zu entkommen, weg von...«
    Doch die Angreifer fielen schon wieder über uns her,
    diesmal wild mit ihren Schwertern, Streitäxten und
    Kampfkeulen auf uns einschlagend. Daila riß sein Schild in die Höhe, um den Axthieb eines Reiters abzuwehren, der mir ganz sicher den Schädel gespalten hätte, weil ich
    sprachlos und wie gelähmt da stand, bis jenes knirschende Geräusch von hartem Stahl, der sich in Leder bohrt, mich aus meiner Betäubung riß. Ich versuchte, den Feind mit meinem eigenen Schwert zu treffen, und machte mich dann davon, wie Daila angeordnet hatte.
    In der Karosse fand ich Amalamena vor, wie ich es in
    böser Vorahnung erwartet hatte. Sie hatte nur den Docht einer einzelnen schwachen Lampe angezündet; ihr
    schwacher Schein hatte nicht ausgereicht, den Wachposten erkennen zu lassen, wer »die Chasar« in Wirklichkeit war.
    Doch hatte das Licht ausgereicht, um sie mit einem sicheren Stich seiner Klinge zu töten - einem Stich in ihre weiße, mädchenhafte Brust, genau unterhalb der Stelle, wo das Fläschchen mit der Jungfrauenmilch hing. Es war nicht viel Blut geflossen nach diesem einen Einstich; meine geliebte Schwester hatte nicht viel Blut zu vergießen gehabt.
    Selbst aus dieser Entfernung konnte ich das
    Kampfgetümmel hören, doch ich wußte, daß es nicht lange anhalten würde. Unser Feind - und ich nahm an, daß es sich um Theoderich Strabo handelte - wollte sich das Pergament nun, nachdem es ihm nicht gelungen war, es durch List und Tücke an sich zu bringen, mit roher Gewalt holen, und er war mit genügend Mannen losgezogen, uns alle zu
    vernichten. Ich seufzte erneut, da ich erst heute morgen mein Schlangenschwert zum ersten Mal benutzt hatte; nun würde es das letzte Mal sein. Und Strabos Männer, mochten sie auch verabscheuungswürdige Überläufer sein, waren
    trotz allem Ostgoten. So würde also das einzige Blut, das mein Schwert je zu kosten bekommen sollte, das meiner
    Landsleute sein.
    Doch dann hielt ich inne. Ich hatte keine Angst vor dem Sterben und schreckte nicht davor zurück; es bedeutete das zu erwartende und höchst ehrenwerte Ende eines Kriegers.
    Trotzdem wäre es sinnlos zu sterben, wenn ich
    möglicherweise für meinen König und mein Volk lebend von größerem Nutzen wäre. Daila hatte gewünscht, ich solle Amalamena in Sicherheit bringen, da sie, falls sie in dem Kampf nicht getötet würde, Strabo als Geisel dienen würde.
    Mit ihr als Pfand könnte er von ihrem Bruder jegliches Zugeständnis erpressen, selbst das, auf all das zu
    verzichten, was der mit Kaiser Zeno geschlossene Pakt ihm zuerkannte. Nun, Strabo konnte die Prinzessin jetzt nicht mehr für seine erpresserischen Ziele benutzen. Doch...
    angenommen, man würde ihn dazu bringen zu glauben, er
    habe sie gefangen. Könnte nicht eine unechte Prinzessin -
    eine Gefangene zwar, doch eine Gefangene, die Kontakt zu den höchsten Würdenträgern des Feindes hätte und sich
    innerhalb seiner stärksten Festung

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