Der Greif
auf gebirgigem Gelände, durch das der Fluß Strymon einen tiefen, schmalen Engpaß
geschnitten hatte Da neben uns der Fluß war und unsere Straße, die an ihm entlangführte, von steilen Felsen
gesäumt war, fühlten wir uns auf unbehagliche Weise
prädestiniert für einen Hinterhalt.
»Ich möchte nicht, daß irgendjemand Felsblöcke auf uns herunterrollt«, sagte Daila, deshalb wies er als erstes zwei Männer an die über uns hängenden Felsen zu erklimmen.
Sie sollten über Nacht abwechselnd dort Wache halten. Als nächstes entsandte er zwei Krieger zur Bewachung der
Straße, in jede Richtung einen, die Straße hinauf und
hinunter, in beträchtlichem Abstand von unserem Lager.
Anschließend stellte er noch weitere Wachposten in
bestimmten Abständen entlang des Flußufers neben uns
auf.
Während unsere übrigen Männer sich um die Tiere
kümmerten, Feuer zum Kochen entfachten und unsere
Vorräte auspackten, sorgte ich dafür, daß Amalamena für jeden, der zufällig zu ihr hinsah, zu sehen war, und das sogar zweimal. Zuerst stieg sie in ihrem Prinzessinnenstaat aus ihrer vorhangverkleideten Karosse und schüttelte sehr eindrucksvoll ihre von der Reise steifen Glieder. Dann bestieg sie wieder die Karosse und erschien nach einer kleinen Weile, als das Zwielicht sich noch verstärkt hatte, in ihrer Chasar-Kammerzofen-Tracht, trug einen Wasserkrug hinunter zum Fluß, füllte ihn und brachte ihn ins Innere der Karosse.
Als ich die Prinzessin später aufsuchte, erkundigte ich mich bei ihr, wie sie sich während der Reise gefühlt hätte.
»Glänzend«, antwortete sie und wirkte so fröhlich und
vergnügt, wie ich sie noch nie erlebt hatte. »Schon wieder brauchte ich die Droge den ganzen Tag nicht zu nehmen.«
»Deine Genesung grenzt in der Tat an ein Wunder. Und
nichts liegt mir ferner, als den ungläubigen Thomas zu spielen. Ich darf nicht vergessen, die Wasser von Pautalia allen Invaliden zu empfehlen, die ich in Zukunft treffe.«
»Außerdem bin ich hungrig wie eine Wölfin«, fuhr sie
lachend fort. »Den ganzen Weg über habe ich Obst
gemampft. Doch jetzt hätte ich sehr gern etwas
Herzhafteres.«
»Die Männer sind gerade beim Kochen. Laß mich nur
rasch deinen Verband wechseln; wenn das erledigt ist, ist das Essen sicher fertig.«
Als sie die Gewänder Swanildas, die sie gerade trug,
aufknöpfte und das Geschwür offenlag, verdüsterte sich nicht wie sonst ihre Stimmung sondern sie sagte lebhaft:
»Siehst du? Es ist schon kleiner als heute morgen!« Ich war mir da zwar nicht ganz sicher, sagte aber, daß ich auch dieser Meinung sei.
Als ich zu unseren Leuten zurückging, dachte ich bei mir, daß die fröhlichen Kochfeuer, die ihr warmes Licht nach oben auf die Felsen um uns herum warfen, unser Lager wie einen luftigen Raum ohne Decke, aber gemütlich und
geruhsam, erscheinen ließen, eine Insel in der schwarzen Nacht. Die Männer, die nicht arbeiteten oder als Wachen abbeordert waren, hatten sich schon hintereinander an den Feuern angestellt, wo der Lager-Koch und seine Helfer die Portionen austeilten, aber mir machten sie natürlich Platz.
Ein Austeiler reichte mir einen vollen Weinschlauch, und ich warf mir den Riemen über die Schulter. Ein anderer gab mir zwei hölzerne Schalen, und der Koch war gerade dabei,
einen gehaltvoll aussehenden Eintopf hineinzuschöpfen, als wir alle aufgeschreckt wurden durch plötzliches lautes Gebrüll von der dunklen Straße her:
»Hiri! Anaslauhts!«
Der Ruf kam von dem weiter entfernt postierten Wächter, der uns in panischem Entsetzen warnte: »Hier! Ein
Überfall!« Es gelang ihm, noch ein weiteres Wort
herauszuschreien, bevor er offensichtlich niedergeschlagen wurde: »Thusundi!«
Nun, Tausende waren es zwar nicht. Doch war an dem
näherkommenden donnernden Hufgetrappel klar erkennbar, daß sie uns zahlenmäßig weit überlegen waren. Im nächsten Moment hatten sie uns auch schon erreicht, waren überall, doch sah man sie immer nur kurz im Schein des Feuers -
bewaffnete, berittene Männer, in gotischer Rüstung und Helmen wie wir -, bevor die Hufe ihrer Pferde die Feuer austrampelten, so daß nur noch glühende Asche und
umherstiebende glimmende Funken davon übrigblieben.
Doch die Angreifer zogen noch nicht ihre Waffen; dieser erste Angriff sollte nur dazu dienen, uns in Schrecken zu versetzen und unsere Feuer zu löschen, denn die Pferde wurden nochmals zur Seite gerissen. Wie sich herausstellte, durchtrennten die Angreifer die
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