Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
trotzdem zusammenhängend zu
    antworten: »Warum... ich... ich weiß es nicht. Ihr nennt mich Tochter, Nonnus Clemens... ich bin so durcheinander... Ich wußte nicht, daß ich eine Frau bin, Nonnus Clemens, wie kann ich deshalb wissen, ob ich Jungfrau bin oder nicht?«
    Dom Clemens sah von mir weg und sagte in den leeren
    Raum: »Wir sollten es uns nicht schwerer machen, als es ohnehin ist, Thorn. Tu mir den Gefallen und sage, daß du keine Jungfrau warst.«
    »Wie Ihr wollt, Nonnus. Aber ich weiß wirklich nicht -«
    »Bitte, sage es.«
    »Also gut. Ich war keine Jungfrau.«
    Er atmete auf. »Ich glaube dir. Wenn du Jungfrau
    gewesen wärst und Bruder Petrus erlaubt hättest, dich zu benutzen, und mir dies zu Ohren gekommen wäre - dann
    hätte ich dich zu hundert Peitschenhieben verurteilen
    müssen.«
    Ich schluckte und nickte stumm.
    »Nun eine weitere Frage. Hat dir die Sünde Lust
    bereitet?«
    »Ich weiß schon wieder nicht, was ich antworten soll,
    Nonnus Clemens. Von welcher Lust sprecht Ihr? Ich weiß nicht, ob ich Lust empfand.«
    Der Abt hustete und wurde erneut rot. »Ich bin mit den fleischlichen Sünden nicht vertraut, aber ich weiß aus guter Quelle, daß man diese Lust als solche erkennt, wenn man sie erfährt. Und die Intensität der Lust ist ein verläßliches Maß dafür, wie schwerwiegend die Sünde ist. Je
    unwiderstehlicher der Drang nach Wiederholung der Lust ist, desto sicherer steckt der Teufel dahinter.«
    Zum ersten Mal in unserem Gespräch sprach ich mit fester Stimme: »Die Sünde und ihre Wiederholung gingen von
    Bruder Petrus aus. Das einzige, was mir Lust bereitet, ist...
    wenn ich in den Kaskaden bade... oder wenn ich sehe, wie ein Adler aufsteigt und davonfliegt...«
    Das schien den Abt noch mehr zu beunruhigen. Er beugte sich vor und sah mir forschend in die Augen. »Hast du
    jemals ein Omen in diesen Gewässern gesehen? Oder
    vielleicht im Flug eines Adlers?«
    »Ein Omen? Nein, Nonnus Clemens, nie. Ich habe auch
    nie danach Ausschau gehalten.«
    »Um so besser«, seufzte der Abt. Er wirkte erleichtert.
    »Die Sache ist schon kompliziert genug. Sei jetzt so gut und gehe den anderen Brüdern für den Rest des Tages aus dem Weg. Du kannst im Stall auf dem Heuboden schlafen. Nach der Vigilie begleite ich dich zur Absolution in die Kapelle.«
    Am Morgen nach der Absolution ging ich kleinlaut mit Dom Clemens zu Domina Aetherea vom Nonnenkloster St.
    Pelagia. Es mag der Eindruck entstehen, ich sei über meine Schmach und meine
    Verbannung allzu zerknirscht gewesen, aber heute meine ich zu wissen, warum ich so niedergeschlagen war: Ich
    glaube, daß sich darin meine weibliche Natur zeigte. Aus irgendeinem Grund glaubte ich, ich sei selbst schuld an dem, was geschehen war vielleicht hatte ich unabsichtlich Petrus' Aufmerksamkeit provoziert und deshalb keinen
    Grund, mich über deren Folgen zu beklagen. So konnte nur eine Frau denken. Ein Mann würde solche Gedanken weit
    von sich weisen.
    Doch war ich gleichzeitig auch ein Mann. Ich empfand
    unwillkürlich das Bedürfnis, die Schuld woanders zu suchen und den Missetäter angemessen zu bestrafen. Wie konnte ich aber von einem anderen Menschen Verständnis für
    diesen Konflikt männlicher und weiblicher Gefühle erwarten, den ich selbst kaum verstand? Aus diesem Grund
    protestierte ich nicht dagegen, daß ich aus St. Damian ausgewiesen wurde, während Petrus bleiben durfte. Und
    aus diesem Grund entschloß ich mich, vorerst den Mund zu halten und mich später auf eigene Faust zu rächen. Genau das tat ich schließlich auch, und ich werde zu gegebener Zeit davon berichten.
    6
    Ich muß zugeben, ich war mehr als entsetzt darüber, daß ich plötzlich kein Junge mehr sein sollte, sondern nur ein Mädchen. Ein weiterer schwerer Schlag für mich war, aus St. Damian ausgewiesen zu werden. Ich hatte es im Kloster einigermaßen schön gehabt und mich an meine Umgebung
    gewöhnt. Ich bedauerte, die herzliche Männerfreundschaft der Mönche gegen die, wie ich glaubte, anspruchslose,
    dümmliche und kichernde Gesellschaft einfältiger und
    ungebildeter Witwen und Jungfern eintauschen zu müssen.
    Zugleich war ich freilich auch erleichtert. Ich war während des vergangenen Jahres in St. Damian mit vielem
    konfrontiert worden, was mich verwirrte, aufregte und
    abstieß. Ich hatte erfahren, daß ich von Arianern umgeben war, daß Arianer nicht unbedingt Wilde waren, sondern
    Christen wie wir auch, und daß Heidentum und Christentum vieles gemeinsam

Weitere Kostenlose Bücher