Der Greif
Theoderich eine wahre Flut an
administrativen Details zu bewältigen, die seine
Aufmerksamkeit erforderten. Außerdem mußte er sich mit einer Vielzahl militärischer Angelegenheiten befassen, da er den Oberbefehl über die Donaugrenze übernommen hatte.
Und als Aurora zur angemessenen Zeit ihr gemeinsames
Kind zur Welt brachte, erwies sich Theoderich als
bewundernswert guter Ehemann und Vater. Wenn er
überhaupt jemals irgendwelche dringichen Angelegenheiten ruhen ließ, dann nur, um die Zeit mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter Arevagni zu verbringen.
Ich will damit nicht sagen, daß ich ignoriert oder vergessen worden wäre; ganz im Gegenteil. Ich bekam alles, was
einem hochgeschätzten Herizogo gebührt und hatte dann
die Muße, meinen Erfolg in ungestörter Ruhe zu genießen.
Theoderich überschrieb mir das Anwesen eines anderen
Herizogos, der kürzlich verstorben war, ohne eine Witwe, Nachkommen oder andere Erben zu hinterlassen: ein
blühendes Landgut am Ufer der Donau, das von freien
Pächtern geführt wurde und auf dem Sklaven die Arbeit
verrichteten.
Auch weiterhin unternahm ich gerne Reisen, fand es aber auch angenehm, in ein eigenes Zuhause zurückkehren zu
können. Das war etwas, was ich nie zuvor besessen hatte.
Weil ich immer noch über den Verlust Amalamenas trauerte
- oder, um es ehrlicher auszudrücken, weil meine Sehnsucht nach dieser lieblichen Nymphe ungestillt geblieben war und nun für immer bleiben würde - hegte ich nicht den Wunsch, mich nach einer Gemahlin umzuschauen, die mir auf
meinem abgelegenen Landsitz hätte Gesellschaft leisten können. In der Tat mußte ich wiederholt die in freundlicher Absicht unternommenen Versuche der Dame Aurora
abwehren, mit verschiedenen ungebundenen weiblichen
Wesen des Hofes zu Novae eine Verbindung einzugehen,
von adeligen Witwen bis hin zu der hübschen Kammerzofe Swanilda. Deshalb nahm ich gelegentlich eine Sklavin zu mir, um mein Bett zu wärmen, einerseits, um mich vor der Versuchung zu bewahren, eine so langfristige Verbindung einzugehen, und andererseits, weil gebieterische Arroganz von einem Sklavenhalter erwartet wurde.
Indessen war da noch die andere Seite meiner Natur, die ebenfalls befriedigt werden wollte. Als Veleda wollte ich mich frei machen von der Erinnerung an den abscheulichen
Strabo und die widerlichen Kränkungen, die er mir zugefügt hatte. Außerdem hatte ich jetzt das Bedürfnis, mich meiner weiblichen Sexualität zu versichern, da ich so standhaft jedesmal meine Weiblichkeit unterdrückt hatte, wenn er mich entehrt hatte. Ich hätte dies mühelos überprüfen können, indem ich mich eines oder mehrerer meiner Sklaven bedient hätte; ich besaß ziemlich viele muskulöse und leidlich attraktive Männer. Doch ich schreckte davor zurück, mich wieder mit den Verkleidungen und Vortäuschungen
abplagen zu müssen, die dieser Ausweg mit sich gebracht hätte.
Deshalb zweigte ich etwas von dem Einkommen, das mir
mein Anwesen brachte, ab und kaufte als Veleda ein kleines Haus in Novae. Das erforderte Diskretion, und ebenso
diskret ging ich vor, wenn ich mit den Männern
Bekanntschaft schloß, die ich für geeignet hielt, meinen Zufluchtsort mit mir zu teilen - für eine Stunde, eine Nacht oder länger. Novae war nämlich eine viel kleinere Stadt als Vindobona, wo ich mich früher als Veleda aufgehalten hatte, oder Constantia, wo ich als Juhiza gelebt hatte. Und folglich war die Gefahr viel größer, daß über eine unbekannte Frau geklatscht würde. Ich war also vorsichtig und mied auch alle Männer aus dem Umkreis Theoderichs oder solche, mit
denen Thorn möglicherweise eines Tages zu tun haben
würde.
Natürlich freute ich mich, feststellen zu können, daß ich für Männer immer noch attraktiv war und sie mühelos zu
bezaubern und zu verführen verstand und daß außerdem
meine weiblichen Organe, meine weiblichen Empfindungen, Körpersäfte und Emotionen noch intakt waren. Doch
empfand ich für keinen Bettgenossen dort in Novae auch nur annähernd die Zuneigung und den sexuellen Appetit, die ich für meinen allerersten männlichen Liebhaber, Gudinand aus Constantia, empfunden hatte. Ich duldete keinen der Männer allzu lange in meiner Nähe - und wurde diejenigen sehr schnell wieder los, die sich unsterblich in mich verliebten und um eine dauerhafte Beziehung baten. Ich bedaure weder
Thorns noch Veledas freizügiges Verhalten in jenen Tagen, noch bin ich der Meinung, mich dafür entschuldigen
Weitere Kostenlose Bücher