Der Greif
sich
offensichtlich, wie ihm mein Herumlungern entgangen sein konnte. Deshalb fuhr ich ziemlich verzweifelt fort: »Ich wollte diese verwandelte Chasar-Dienstmagd mit mir hierher
bringen, Theoderich, um dich in Erstaunen zu versetzen.
Und auch, damit du sie hättest loben können, denn sie
spielte ihre Rolle bravourös. Leider war sie unter den Unschuldigen, die bei dem Blutbad in Constantiana ums
Leben kamen, als...«
»Haltet ein, haltet ein!« unterbrach Theoderich
kopfschüttelnd und lachte. »Ich denke, es ist am besten, wenn du mit deinem Bericht am Anfang beginnst. Hier,
Männer, wir wollen alle unsere Liegen enger
zusammenrücken. Und Swanilda, würdest du in die Küche
gehen und die Leute dort bitten, ein paar Erfrischungen zu bringen? Das wird sicher eine lange Geschichte werden, und Thorn bekommt bestimmt großen Durst.«
Ich erzählte also alles, oder beinahe alles, was sich
ereignet hatte, von dem Tag an, als unser Trupp Novae
verlassen hatte, bis zum heutigen Tag meiner Rückkehr.
Kaum hatte ich begonnen, als Swanilda und eine andere
Frau eine riesige, mit Ornamenten verzierte Schale aus vergoldetem Silber voll mit frischem goldenem Met
hereinbrachten, aus deren Mitte ein Schöpflöffel in
anmutiger Vogelform herausragte. Sie stellten die Schale in die Mitte unseres Kreises und gingen dann hinaus, da sie sich nicht anmaßten, bei einem Männergespräch zugegen
zu sein. Ich unterbrach meinen Bericht zwar nicht, doch hatte ich die zweite Frau erkannt. Sie trug bedeutend
kostbarere Kleidung als zu dem Zeitpunkt, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, war außerdem hochschwanger,
und aus ihrem Verhalten schloß ich, daß sie die neue Herrin Swanildas, der Kammerzofe, war.
Ich wunderte mich, doch verschob ich irgendwelche
Fragen bezüglich dieser Frau auf später. Als sie gegangen waren und ich in meiner Erzählung fortfuhr, schöpften der eine oder andere von uns Männern hin und wieder einen
Trunk süßen Mets aus der Schale. Entsprechend der Sitte, nach der verfahren wurde, wenn mehrere Männer
zusammen etwas besprachen, handelte es sich hierbei um eine »Brüderschaftsschale«, bei der alle von uns aufgerufen waren, abwechselnd freundschaftlich aus dem einzigen
Schöpflöffel zu trinken.
Ich erzählte meine Geschichte auf ganz ähnliche Weise
wie hier, nur faßte ich mich kürzer und verzichtete auf Details wie die häßlichen Manifestationen von Amalamenas Krankheit. Um die Tatsache zu erklären, daß ich in diesem Moment noch am Leben war, mußte ich mich
gewissermaßen als heroischen Krieger, der vor dem Tod
nicht zurückschreckt, darstellen. Ich berichtete, daß
Amalamenas Tod sich in Pautalia ereignet hätte und daß Optio Daila und ich sie heimlich dort begraben hätten - ohne selbst unsere eigenen Männer davon zu unterrichten - und daß die Chasar-Swanilda anschließend allein in der Karosse weitergereist wäre. Ich erzählte, wie unsere Entdeckung des Verrats des einen Bogenschützen mich und Daila dazu
bewegen hatte, von unserem Kurs abzuweichen und dem
Fluß Strymon zu folgen, bis wir schließlich in den steilen Engpaß geraten waren, in dem uns in einer dunklen Nacht Strabos Soldaten überfallen hatten. Dort hätte ich dann an der Seite meiner Männer gekämpft, sagte ich (wohl wissend, daß Augis dies nicht als Lüge entlarven konnte, da er zu der Zeit hoch oben auf dem Gipfel des Felsens gewesen war).
Dann, erzählte ich weiter, hätte ich erkannt, daß wir auf verlorenem Posten standen und hätte im selben Moment
gesehen, wie Strabos Männer die Chasar-Swanilda aus der Kutsche gezogen hätten - und daraufhin sei mir die Idee mit der Substitution gekommen. Ich entledigte mich meiner
eigenen Rüstung, da sie meinen Rang und meine Identität preisgab, und legte die eines anderen kleinwüchsigen
Mannes an, der bei der Schlacht gefallen war. Ich stahl mich an die Seite der Chasar-Swanilda und hatte dort die
Gelegenheit, ihr dringend notwendige Anweisungen
zuzuflüstern und ihr die Halskette der Prinzessin zu
übergeben. Als Strabo selbst sie dann zur Rede stellte, verkündete sie hochmütig, selbst Prinzessin Amalamena zu sein - und Strabo glaubte ihr.
»Er zweifelte nie an ihr, von jenem Tag an bis zu ihrem letzten«, sagte ich. »Doch hielt ihn das nicht davon ab, sie auf übelste Weise zu mißbrauchen, unter Mißachtung aller Konventionen redlicher Kriegsführung. Sei froh, Theoderich, daß sie nicht unsere Amalamena war. Nur zwei Nächte nach ihrer
Weitere Kostenlose Bücher