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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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offiziellen Begräbnis die Absolution erteilen, sondern man wird sie voller Abscheu irgendwo in ungeweihter Erde verscharren.«
    Meirus spuckte wütend auf den Boden und gab ein Wort
    von sich, das wie eine sehr wüste Beschimpfung klang:
    »Tsephuwa! Ihr mögt wenig vom Judaismus halten,
    Marschall, aber diese Religion ist nicht so kalt und grausam wie die der Christen. Überlaßt das arme, tote Mädchen mir.
    Ich werde dafür sorgen, daß sie mit unchristlichem Mitgefühl und mit Anstand und Würde beerdigt wird.«
    »Ich bin Euch wirklich sehr verbunden, guter Schlamm-
    Mann«, sagte ich mit aufrichtiger und tief empfundener Dankbarkeit. »Erlaubt mir, mich für diesen großen Dienst zumindest ein wenig erkenntlich zu zeigen, indem ich Made Swanildas Reittier überlasse.« Ich wandte mich an den
    Armenier: »Wenn du also mit uns weiterreiten willst, hier ist das Pferd; es ist schon gesattelt.«
    Er schaute ratlos von einem zum ändern, bis sein Herr
    schließlich eindringlich zu ihm sagte: »Nimm es, Maghib. In meinem ganzen Stall gibt es kein besseres Pferd.«
    Daraufhin willigte Made mit einer resignierten Geste in mein Angebot ein.
    Ich fand es ziemlich unangebracht, daß Meirus dann nicht mich, sondern Thor fragte: »Würdet Ihr bitte diese von mir aufgesetzte Urkunde durchlesen und mir sagen, ob sie in Ordnung ist, Fräuja Thor? Das Dokument soll Maghib dazu berechtigen, in meinem Namen mit Bernstein zu handeln.«
    Diese Bitte ließ Thor verwirrt einen Schritt zurücktreten und leicht erröten; dann jedoch nahm er sofort wieder jene Haltung ein, die Meirus schon mehrfach als »überheblich«
    bezeichnet hatte, und sagte hochmütig: »Ich habe keine Ahnung vom Bernsteinhandel oder von den Arbeiten eines Sekretärs; ich will damit sagen, daß ich etwas so
    Stumpfsinniges und Mühseliges wie das Lesen lieber den Schreiberlingen überlasse.«
    »Tatsächlich?« grunzte Meirus und gab nun mir das
    zusammengerollte Pergament. »Ich nahm an, daß ein von
    König Eurich gesandter Geschichtsschreiber zumindest
    lesen können müßte.«
    Ich tat so, als ließe der Wortwechsel der beiden mich
    gleichgültig, und rollte das Dokument auseinander.
    Nachdem ich es kurz überflogen hatte, nickte ich und steckte es in meine Tunika. In Wirklichkeit war mir die Angelegenheit noch peinlicher als dem offensichtlich nur kurz in
    Verlegenheit geratenen Thor. Im Gegensatz zu Meirus war ich zwar kein Augur; dennoch hätte ich mich zumindest nach Thors Fähigkeiten erkundigen können, bevor ich ihn als meinen »mitreisenden Geschichtsschreiber« ausgab. Ich
    wäre gar nicht auf den Gedanken gekommen, daß ein so
    redegewandter Mensch wie Thor nicht einmal lesen konnte.
    Natürlich war es einer Zofe, die tagtäglich den Gesprächen ihrer Herrschaften lauschen konnte, nicht besonders
    schwergefallen, höfliche und kultivierte Umgangsformen vorzutäuschen. Ich behielt meine Gedanken für mich und sagte nur ganz beiläufig zu Made: »Möglicherweise kannst du ein paar von Swanildas Sachen gebrauchen. Ihre
    Schlaffelle vielleicht, oder ihren Reiseumhang für den Winter. Du bist ja nicht viel größer als sie... war. In ihrem Gepäck befindet sich auch noch Kochgeschirr.«
    »Es tut mir leid, Fräuja«, sagte Maghib schüchtern, »aber ich kann gar nicht kochen.«
    »Wenigstens das kann Thor«, bemerkte ich spitz und
    wollte damit natürlich andeuten, daß er sonst wohl nicht viel könne. Es verschaffte mir eine gewisse Genugtuung, daß Thor nach dieser Anspielung sichtlich Mühe hatte, seinen Ärger zu unterdrücken. Dann gab ich als Anführer unserer kleinen Truppe meinen ersten Befehl: »Von jetzt ab bis zum Ende unserer Reise wird Thor für uns kochen!«
    Ich beugte mich über Swanilda, um ihr einen letzten Kuß zu geben. Erneut schaute Thor mich entrüstet an. Ich küßte jedoch nur die Hand des toten Mädchens, denn das Gesicht eines Menschen, der sich erhängt hat, sieht zu schrecklich aus, um es zu küssen. Im stillen sagte ich ihr Lebewohl und gab ihr ein geheimes Versprechen: Falls ich diese Reise überleben und wirklich die Geschichte der Goten für andere niederschreiben sollte, dann würde ich meine
    Aufzeichnungen Swanilda widmen.
    Nachdem Made seine Habseligkeiten hinter dem Sattel
    befestigt hatte, ritten wir drei Seite an Seite aus Noviodunum hinaus. Obwohl Made so plump und unbeholfen im Sattel
    saß wie ein Sack voll Brennholz und auch sein Pferd nicht zu einer ruhigen und gleichmäßigen Gangart zu bringen
    vermochte,

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