Der Greif
fiel mir doch auf, daß er es trotz seiner
mangelnden Reitkünste immer irgendwie zuwege brachte,
so neben mir her zu reiten, daß ich mich stets zwischem ihm und Thor befand. Er ging unserem dritten Reisegefährten so offensichtlich aus dem Weg, daß ich begann, Mutmaßungen über diesen Thor anzustellen, von dem ich so wenig wußte.
Niemand mochte Thor, auch ich nicht. Ich war von seiner Art wirklich nicht besonders angetan, mußte mir jedoch eingestehen, daß ich unsere Verbindung selbst dann nicht gelöst hätte, wenn ich seinen Charakter wirklich abstoßend gefunden hätte. Meine Beweggründe warfen auch auf
meinen eigenen Charakter kein sehr vorteilhaftes Licht. Ich konnte Thor ebensowenig aufgeben wie ein Trinker seinen billigen Wein oder der Eremit Galindo sein fauliges Kraut.
Auch sie waren von dem, was sie da tranken oder rauchten, nicht unbedingt begeistert, konnten jedoch wegen seiner Wirkung nicht darauf verzichten. Obwohl Thors Schönheit ebenso fragwürdig war wie seine Moral, machte mich meine Begierde zum Sklaven jener Genüsse, die auf der ganzen Welt einzig und allein Thor mir verschaffen konnte. In diesem Augenblick bereute ich es sogar schon, daß ich
Thors Vorschlag, Made vor uns herreiten zu lassen,
abgelehnt hatte. Ich war zwar nur sehr ungern bereit, auch nur auf eine einzige Nacht in Thors Armen zu verzichten, wollte jedoch nicht, daß Made uns sah oder hörte. Ich sollte bald erfahren, daß Thor derartige Erwägungen völlig fremd waren.
»Väi«, sagte Thor verächtlich, als ich meine
Befürchtungen während einer Rast zur Sprache brachte.
»Soll der Kerl doch schockiert sein. Selbst wenn er ein Bischof und nicht nur ein Armenier wäre, würde ich
seinetwegen nicht auf mein Vergnügen verzichten.«
»Nein, du sicher nicht«, sagte ich, »aber ich möchte
vermeiden, daß unser Geheimnis herauskommt. Und du
weißt ja bestimmt, wie redselig Armenier sind.«
»Dann laß wenigstens mich meine Verkleidung ablegen;
zumindest teilweise. Solange Made sich dort drüben um die Pferde kümmert, werde ich mich wieder in Genoveva
verwandeln und ihre Kleider solange tragen, wie Made noch bei uns ist. Wir können ihm ja etzählen, daß ich mich aus streng vertraulichen, politischen Gründen bisher als Mann verkleiden mußte.« Sein Vorschlag erschien mir sehr klug und zudem noch äußerst großzügig, bis Thor plötzlich
boshaft hinzufügte: »Du hast mich zum Koch unserer
Reisegesellschaft ernannt, warum sollte ich mich also nicht auch so unterwürfig kleiden und verhalten, wie es dem
bloßen Untergebenen eines großen Marschalls zukommt?«
Ich versuchte, seine letzten Worte ins Scherzhafte zu
ziehen, und entgegnete: »Nun, in der Nacht können wir dann ja abwechselnd den Untergebenen und den Übergebenen
spielen.« Keiner von uns lachte über dieses mißlungene Wortspiel, und ich schämte mich, daß ich so gewöhnlich geworden war.
Unser listiger Plan hatte Erfolg. Als Made mit einem
Armvoll Brennholz auf uns zukam, um Feuer zu machen,
war er nicht besonders überrascht, daß sich anstelle von Thor nun auf einmal eine junge Frau mit mir unterhielt. Er nickte höflich, als ich ihm diese als Genoveva vorstellte, und wenn er irgendwelche Zweifel an unserer Geschichte hatte, dann brachte er diese jedenfalls nicht zum Ausdruck. Er sagte nur: »Da niemand von uns heute ein Stück Wild
gesehen, geschweige denn erlegt hat, werdet Ihr, Fräuja Thorn und Fräujin Genoveva, vielleicht froh sein, zu hören, daß ich vorsorglich etwas geräuchertes Fleisch und
gepökelten Fisch aus der Küche des Fräuja Meirus
mitgenommen habe.«
Wir dankten ihm freudig für seine Umsicht, und Genoveva machte sich ausnahmsweise einmal ganz bereitwillig an ihre Arbeit. Sie ging sofort mit einem Topf zum Fluß hinunter und holte Wasser, um das Essen darin zu kochen. Weder sie
noch Made tadelten oder verspotteten mich, weil ich als ihr Anführer nicht daran gedacht hatte, für Reiseproviant zu sorgen. Mir wurde bewußt, daß dieses Versäumnis nur ein weiteres Anzeichen meines augenblicklich recht verwirrten Geisteszustandes war, und ich beschloß, mich von nun an etwas weniger mit unserem neuen Reisegefährten zu
beschäftigen und mich stattdessen wieder mehr meinen
eigentlichen Aufgaben zu widmen.
Als wir unsere deftige Mahlzeit verspeist hatten, reinigte Genoveva unsere Kochutensilien mit Sand, während ich die brennenden Holzscheite für die Nacht zusammenschob.
Dann breiteten wir unsere
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