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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Unzahl von Geschichten,
    Gerüchten und Anekdoten. Manches, was er so berichtet, hat sich erst in jüngerer Zeit zugetragen; viele der
    Geschichten hat jedoch bereits sein Vater erzählt, der sie wiederum von seinem Vater oder Großvater gehört hat.
    Manche Geschichten sind also uralt und schon seit
    Generationen überliefert. So ein gelangweilter, allmählich Moos ansetzender Stubenhocker hört zwar gern seinen
    Gästen zu, aber noch viel lieber erzählt er selbst. Es fiel mir also leicht, jedem gotischen oder rumänischen Gastwirt einen wahren Schwall von Vorträgen, Berichten und
    Erinnerungen zu entlocken.
    Ich nahm natürlich nicht alles, was ich so hörte, in meine historischen Aufzeichnungen auf. Manche Geschichten
    waren recht unglaubwürdig, andere kannte ich bereits.
    Trotzdem war ich manchmal von dem, was irgendein
    gesprächiger Gastwirt mir erzählte, so gefesselt, daß ich mit ihm bis in die Nacht hinein vor dem Herdfeuer der Herberge saß. Irgendwann wurde Genoveva dann immer unruhig und
    gereizt und unterbrach unseren Gastgeber mit den Worten:
    »Diese Geschichte hat nichts mit dem zu tun, was wir
    eigentlich wissen wollen, und es ist schon nach Mitternacht.
    Komm zu Bett, Thorn.«
    Die gotischen Wirte erzählten mir interessantere Dinge als die rumänischen. In einem Punkt waren sich die Goten und die Rumänen jedoch einig. Es war ein rumänischer Gastwirt, der mir als erster die folgende Warnung gab: »Gebt acht, junger Mann, daß Ihr und Eure Mitreisenden nicht von dem direkt in Richtung Norden führenden Weg abkommt, dem ihr bis jetzt gefolgt seid. Oder haltet Euch westlich des Weges, falls Euch Eure Suche eher in diese Richtung führt, aber vermeidet es unter allen Umständen, nach Osten zu reiten.
    Etwas weiter nördlich von hier werdet Ihr auf den Fluß Tyras stoßen. Was immer Ihr auch vorhabt, bleibt auf der
    westlichen Uferseite, denn östlich des Flußes beginnen die Tafelländer der Sarmaten, und in diesen Pinienwäldern
    lauern die schrecklichen ›Viramne‹.«
    »Ich weiß nicht, was Euer rumänisches Wort ›viramne‹
    bedeutet«, sagte ich.
    »Die lateinische Übersetzung lautet ›viragines‹.«
    »Ach, ja«, sagte ich. »Diese Frauen, die die alten
    Griechen Amazonen nannten. Wollt Ihr mir etwa erzählen, daß es sie wirklich gibt?«
    »Ich kann nicht sagen, ob es wirklich Amazonen sind; ich weiß jedoch genau, daß es sich um einen Stamm von
    kriegerischen und bösartigen Frauen handelt.«
    Wie eine Frau, die sich ein Urteil über mögliche Rivalinnen bilden möchte, fragte Genoveva: »Sind diese Frauen wirklich so schön, wie man sagt?«
    Der Rumäne breitete bedauernd die Hände aus: »Auch
    das kann ich nicht sagen. Ich selbst habe sie nie zu Gesicht bekommen, und ich kenne auch niemanden, der weiß, wie
    sie aussehen.«
    »Warum fürchtet Ihr sie dann so sehr?« fragte ich. »Wie wollt Ihr dann überhaupt wissen, daß sie sich wirklich dort aufhalten?«
    »Es kam vor, daß sich Reisende in ihr Gebiet verirrten, und die wenigen, die diesen Frauen wieder lebendig
    entkamen, erzählten haarsträubende Geschichten über die höllischen Qualen, die sie dort zu erleiden hatten. Ich selbst habe bis jetzt noch keinen solchen Überlebenden getroffen, aber es werden die schrecklichsten Geschichten erzählt. Es ist auch weithin bekannt, daß eine Gruppe rumänischer
    Siedler auf der Suche nach eigenem Ackerland tollkühn
    genug war, den Tyras zu überqueren, um in den Wäldern
    der Sarmaten Land zu roden. Nicht einmal ihre Verwandten, die sie auf der anderen Seite des Tyras zurückließen, haben jemals wieder irgend etwas von ihnen gehört.« »Vái, das sind nur Gerüchte und keine Beweise«, höhnte Genoveva.
    Der Gastwirt schaute sie eindringlich an. »Mir reichen solche Gerüchte. Ich bin gar nicht auf Beweise aus. Und wenn Ihr klug seid, dann setzt Ihr Euch lieber nicht der Gefahr aus, selbst zum Beweis zu werden.«
    »Ich habe schon verschiedene Geschichten über diese
    Mannweiber gehört«, sagte ich, »aber in keiner davon wurde erklärt wie sich ein solcher Frauenstamm fortpflanzt.«
    »Es heißt, daß sie sowohl den Geschlechtsverkehr wie
    auch das Kindergebären verabscheuen. Beides ist für sie nur eine Pflicht, um das Aussterben ihres Stammes zu
    verhindern. Daher tun sie sich notgedrungen ab und zu mit den Männern anderer wilder Sarmatenstämme zusammen,
    vielleicht mit den widerlichen Kutriguri. Alle männlichen Neugeborenen werden von den Viramne ausgesetzt und
    dem

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