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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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weiter tun, als die Lebensmittelversorgung der Stadt zu verhindern, die von der Sumpfstraße, über das Moor, über den Nebenfluß des Po oder über die Via Popilia, die von Ravenna aus
    nördlich und südlich an der Küste entlangführte, erfolgte. Nur die wenigen Ausfälle der Bogenschützen, welche bei
    Gelegenheit und aus Langeweile die Mauern mit Pfeilen und Feuerpfeilen beschossen, erinnerten an eine Belagerung.
    Der Feind hinter den Mauern lachte sicher höhnisch über diese lustlosen Angriffe, die so sinnlos waren wie die Blockade selbst. Herduichs Küstenbeobachter berichteten, daß mindestens einmal wöchentlich ein Handelsschiff oder etliche von einer Galeere gezogene über die Adria im Hafen Classis, dem Kriegshafen von Ravenna, eintrafen und dort in aller Ruhe eine beträchtliche Fracht abluden. Dagegen
    konnten wir nicht das geringste tun, wir wußten nicht einmal, woher diese Schiffe kamen.
    »Nicht von den adriatischen Stützpunkten, die unter
    meinem Befehl stehen«, beteuerte Lentinus uns Offizieren, die wir uns im Palast zu Mediolanum versammelt hatten. In seinem kuriosen venezianischen Akzent fuhr er fort: »Ich versichere Euch, Theoderich, daß diese Schiffe weder aus Aquileia noch aus Altinum, noch aus Ariminum kommen. Ich leihe Euch zwar keine Schiffe, um Euch zum Sieg zu
    verhelfen, aber ich unterstütze auch nicht Odoakers letzten Verteidigungsversuch.«
    »Das ist mir bekannt«, antwortete Theoderich, »und ich respektiere Eure Neutralität.«
    Ich sagte: »Wir müssen annehmen, daß selbst ein
    gescheiterter, ehrloser ehemaliger Regent noch eine
    Handvoll Anhänger hat, die ihm bis zuletzt treu bleiben. Wir vermuten, daß eine kleine Schar von Odoakers Leuten sich bereits sicher irgendwo im Exil befindet, vielleicht in Dalmatien oder sogar noch weiter weg in Sizilien.«
    Der brummige Saio Soas ließ sich vernehmen: »Odoakers
    Anhänger könnten auch Auswanderer sein, die aus
    irgendeinem Grund den Status quo ante bewahren wollen.
    Es ist erstaunlich, wie viele Leute, die lange außerhalb ihres Vaterlands gelebt haben, sich aus sicherer Entfernung
    begeistert in dessen Angelegenheiten einmischen.«
    »Meine Moral verbietet es mir, mich einzumischen«, sagte Lentinus, »und meine Neutralität hält mich davon ab, Euch römische Schiffe anzubieten. Aber ich schlage Euch vor, daß Ihr Euch Eure eigenen Schiffe baut.«
    »Danke für den Vorschlag«, sagte Theoderich mit einem
    Lächeln. »Aber ich glaube nicht, daß sich in meinen Reihen auch nur ein einziger Mann befindet, der sich im Schiffsbau auskennt.«
    »Vermutlich nicht«, entgegnete Lentinus. »Aber ich kenne mich darin aus.«
    Theoderichs Lächeln wurde breiter. »Ihr würdet uns
    helfen, Kriegsschiffe zu bauen?«
    »Keine Kriegsschiffe. Das würde meine Neutralität
    verletzen. Außerdem würde es Jahre dauern, eine Flotte von Kriegsschiffen zu bauen. Nein, was Ihr wirklich braucht, das sind große Kästen, die im Kriegshafen von Ravenna
    herumgerudert werden können. Diese besetzt Ihr mit genug bewaffneten Kriegern, die sich den eintreffenden
    Versorgungsschiffen entgegenstellen. Ihr habt doch sicher fähige Schmiedsoldaten und Wagenbauer in Euren Reihen.
    Ruft sie zusammen, und ich werde sie die Via Aemilia hinab zu den Schiffswerften in Ariminum führen, wo man ihnen beibringen wird, was sie zu tun haben.«
    »So sei es!« rief Theoderich recht fröhlich und schickte seine Generäle Pitza und Ibba los, um die Handwerker
    zusammenzurufen.
    Das Frühjahr kam, und die Vorbereitungen für eine völlige Blockade Ravennas waren noch nicht abgeschlossen. Aus
    Konstantinopel traf eines der schnellen Boote des Lentinus mit einem griechischen Boten ein, der die neuesten
    Nachrichten aus dem Östlichen Imperium überbrachte. Zeno war gestorben, und sein Nachfolger im Purpur-Palast hieß Anastasius. Er war fast so alt wie Zeno und hatte bislang nur ein unbedeutendes Amt im kaiserlichen Schatzamt
    innegehabt. Doch er war persönlich von Zenos Witwe, der Basilissa Ariadne, zum Kaiser erwählt worden. Zum
    Ausgleich heiratete er sie unmittelbar nach seiner
    Thronbesteigung.
    »Überbringe dem Kaiser meine Glückwünsche und mein
    Beileid«, trug Theoderich dem Boten auf. »Ich werde auf Mitteilung von ihm warten. Hat er keine Nachricht
    mitgeschickt, was meine eigene Thronbesteigung
    anbetrifft?«
    »Oukh, nein. Tut mir leid.« Der Bote zuckte mit den
    Schultern. »Ihr werdet mir die Dreistheit meiner Worte verzeihen, Theoderich, aber Ihr

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