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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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solltet nicht erwarten, daß Anastasius Euch etwas von sich aus anbietet. Wie alle
    Männer, die viel Geld zu verwalten haben, ist er ein
    knausriger Geizhals. Wenn Ihr etwas von ihm wollt, müßt Ihr darum betteln.«
    Und so kam es, daß Theoderich ohne den kaiserlichen
    Befehl und nur kraft des Kriegsrechts und seiner
    wachsenden Beliebtheit ganz Italien regierte.
    9
    Bei Corfinium, einer Stadt in den Bergen und Knotenpunkt mehrerer Römerstraßen, schlugen wir für einige Tage unser Lager auf, während Theoderich die Kapitulation der Stadt entgegennahm, den Stadtgouverneur mit den Regeln des
    Kriegsrechts vertraut machte, den üblichen Gerichtshof ernannte und nur fünf Zeltgemeinschaften der Infanterie als Besatzungsmacht abkommandierte. Wir verließen die Stadt auf der Via Salaria, und ich befand mich gerade mit
    Theoderich an der Spitze unserer Kolonnen im Gespräch, als wir südlich von Corfinium einer weiteren, viel kleineren Kolonne begegneten: einer Anzahl von Reitern, die eine vornehme Karosse eskortierten, die von einem Esel
    gezogen wurde. Wir hielten alle an, und ein weißhaariger, glattrasierter und würdevoll aussehender Mann stieg aus der Karosse und grüßte uns. Seine roten Sandalen und seine gesäumte Tunika waren unverkennbare Abzeichen seines
    Ranges, und er sprach Theoderichs Namen römisch aus:
    »Salve, Theodericus. Ich bin Senator Festus und bitte Euch um ein Gespräch.«
    »Salve, Patricius«, entgegnete Theoderich höflich, aber nicht demütig. Es mag sein, daß ich ein wenig beeindruckt war von dem ersten römischen Senator, den ich zu Gesicht bekam, Theoderich jedenfalls war es nicht. Immerhin war er Konsul des Östlichen Imperiums gewesen.
    »Ich kam von Rom, Euch aufzusuchen«, fuhr Festus fort.
    »Doch ich hatte Euch im Umkreis der Stadt erwartet, und nun erfahre ich, daß Ihr überhaupt nicht nach Rom
    marschiert.«
    »Ich bewahre mir Rom für zuletzt auf«, sagte Theoderich leichthin, »es sei denn, Ihr bringt unerwartet die
    Kapitulation.«
    »Darüber wollte ich mit Euch sprechen. Können wir es uns am Wegrand bequem machen?«
    »Dies ist ein Heer. Wir führen keine Sitzgelegenheiten oder sonstige senatorische Bequemlichkeiten mit uns.«
    »Aber ich selbstverständlich.«
    Während Theoderich seine anderen Offiziere zu sich rief und der Reihe nach vorstellte, errichteten die Bediensteten des Senators auf dessen Wink rasch einen herrlichen
    Pavillon, verteilten Kissen darin und schafften Schläuche mit Falerner und Kelchgläser aus Kristall herbei, in welchen sie den Wein servierten. Festus wollte mit oberflächlicher Konversation beginnen, doch Theoderich bemerkte steif, er hoffe, die nächste Stadt, Aufidena, noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, also kam der Senator gleich zur Sache.
    »Der römische Senat ist derzeit - wie alle römischen
    Bürger verwirrt und unsicher. Unser ehemaliger König hat sich verbarrikadiert, auf dem östlichen Thron sitzt ein neuer Kaiser, Ihr selbst seid unbestritten, doch inoffiziell unser neuer Herr. Wenn es nach mir ginge, würde der
    Machtwechsel so früh und so reibungslos wie möglich vor sich gehen und die Frage der Anerkennung Theoderichs als König zu einem Abschluß gebracht. Nur, ich kann nicht
    behaupten, das Denken des gesamten Senats
    wiederzugeben...«
    »Der römische Senat«, unterbrach ihn Theoderich höflich,
    »war seit den Tagen Diokletians nicht mehr gezwungen zu denken.«
    »Das ist wahr. Nur allzu wahr. Und während des
    vergangenen Jahrhunderts tat er nicht viel mehr als die Handlungen desjenigen zu ratifizieren, der sich gerade hervortat.«
    »Ihr meint, desjenigen Barbaren, der sich gerade
    hervortat. Ihr braucht Euch nicht zu schämen, das Wort zu gebrauchen, Senator. Seit den Tagen Stilichos, des ersten barbarischen Staatsmanns, hatte der Senat Roms keine
    andere Funktion, als nur zu allem seine Zustimmung zu
    geben.«
    »Kommt, kommt«, erwiderte Festus und schien überhaupt
    nicht beleidigt zu sein. »Diese Funktion ist nicht überflüssig.
    Allein das Wort ›Senat‹, abgeleitet von ›senex‹, bedeutet
    ›Rat der Alten‹. Schon in frühester Zeit bestand die Aufgabe der Alten eines Stammes darin, ihre Zustimmung zu den
    Plänen der Jungen zu geben. Ebenso wünscht Ihr,
    Theoderich, daß Eure Taten anerkannt werden und daß
    Euer Anspruch auf den Königstitel legitimiert wird.«
    »Das kann nur der Kaiser, nicht der Senat.«
    »Aus diesem Grunde bin ich hier. Wie gesagt,
    repräsentiere ich nicht die

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