Der Greif
und fügte hinzu: »König Chlodwig bot sogar seine Schwester an. Sie trägt den alten gotischen Namen Audofleda.«
»Und wozu?« wollte ich wissen. »Nun, Theoderich soll sie zur Frau nehmen.« Ich muß zugeben, daß diese Worte mir einen Stich versetzten, was mich wiederum überraschte, denn ich war auf die verstorbene Dame Aurora nie
eifersüchtig gewesen, ja, ich hatte sie sogar gemocht. Und es hatte mir nie etwas ausgemacht, wenn Theoderich von Zeit zu Zeit eine andere Frau mit ins Bett nahm. Nun, dachte ich traurig, irgendwann würde er eine formelle Ehe eingehen müssen, denn bislang hatte er nur Töchter gezeugt, und diese im Konkubinat. Natürlich wünschte er sich einen Sohn königlichen Geblüts. Aber ich konnte mich noch so sehr anstrengen - dieser Gedanke beruhigte mich nicht.
Dann ergriff General Ibba das Wort: »Chlodwigs Angebot beweist seine Überzeugung, daß wir bald ganz Italien
besitzen werden und daß seine Schwester über kurz oder lang Theoderichs Herrschaft teilen wird - nicht nur über Italien, sondern über das geeinte Römische Reich. Sie wird nicht nur Königin sein, sondern Kaiserin. Und wenn
Chlodwig so sicher von unserem Sieg ausgeht, dann tun
dies auch all die anderen Könige.«
»Auch unser König?« fragte ich kühn.
Theoderich nickte nüchtern und meinte: »Wir beherrschen nun den gesamten Norden Italiens von den Alpen bis zum Isonzo. In einem Jahr werden wir auch den südlichen Teil der Halbinsel erobert haben. Tatsächlich ist bis auf den Triumph alles vollbracht. «
Ich tat so, als sei ich enttäuscht: »Wie ich befürchtete, habt ihr den Krieg ohne mich gewonnen.«
»Nicht ganz«, brummte Soas. »Ein Triumph kann nicht
ohne die Verleihung des Lorbeers gefeiert werden. Bis
Odoaker das zugibt...«
»Komm, komm, Saio Kassandra«, spottete ich. »Gewiß
verlangt Kaiser Zeno nicht, daß wir ihm Odoakers Kopf
bringen, wie wir es mit Camundus und Babai taten.« Ich wandte mich wieder an Theoderich und drängte: »Überlasse Odoaker doch seine Sümpfe. Er soll sich dort verstecken, bis er verfault. Unterdessen gehört dir der Rest Italiens, und der Rest der Welt weiß, daß es so ist. Zeno wird keine andere Wahl haben, als dich...«
Theoderich unterbrach mich, indem er die Hand hob. »Ne, Thorn. Das Schicksal will es anders. Wie ich höre, ist Zeno sehr krank. Er könnte sterben. Und bis dahin kann kein Nachfolger für ihn bestimmt werden. Wenn ich also während dieses Interregnums Lorbeeren pflücken will, muß die Welt mir dabei zusehen. Es ist nun mehr denn je vonnöten, daß ich Odoaker ein für allemal besiege.«
Ich seufzte. »Ich bin ungern derjenige, der dir das sagt, aber dies wird uns mit dem Heer allein nicht gelingen. Ich habe das Gebiet um Ravenna in Augenschein genommen.
Ein Landangriff ist nicht möglich, und eine Belagerung auf der Landseite aussichtslos. Als Odoaker sich in den Schutz seiner Feste zurückzog, war die Ernte gerade eingebracht worden; wir können also davon ausgehen, daß er reichlich mit Lebensmitteln versorgt ist.«
»Womöglich«, murmelte Pitzia, »hat Tufa aus diesem
Grund unsere Männer abgeschlachtet: damit sie die Vorräte der Stadt nicht erschöpfen.«
»Das wäre unnötig«, sagte ich. »Die Einwohner Ravennas hätten selbst dann für lange Zeit genug zu essen, wenn die Ernte nicht schon eingebracht worden wäre. Als ich Strabos Gefangener in Constantiana am Schwarzen Meer war, gab
er immer damit an, daß kein Heer Europas es verhindern könne, daß die Stadt von der See her versorgt würde. Auch Ravenna ist eine Hafenstadt, deshalb erzähle ich euch das.
Der einzig durchführbare Weg ist, uns die römische
Kriegsflotte nutzbar zu machen. Sie soll unsere Truppen transportieren und an Land setzen und...«
»Das geht nicht«, sagte Theoderich matt.
»Ich weiß«, entgegnete ich. »Als stolzer Krieger willst du, daß wir Ravenna ohne Hilfe von außen einnehmen. Das
kann ich verstehen. Doch glaube mir, wir haben keine
andere Wahl. Jener Nauarch Lentinus der Adriatischen
Flotte schien doch sehr...«
»Lentinus ist der Grund, weshalb ich die römische Flotte nicht in Anspruch nehmen kann. Väi, Thorn, du warst doch dabei, als ich ihm mein Wort gab, daß ich sein rechtmäßiger Befehlshaber sein würde, bevor ich ihm den ersten Befehl erteile. Zeno hat mir diese Autorität nicht erteilt, kann dies jetzt auch nicht, und das weiß Lentinus. Selbst wenn ich mein Wort brechen würde, könnte ich den Nauarchen nicht zwingen,
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