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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Mehrheit des Senats. Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß die Mehrheit sich freuen würde, wenn Ihr - und jeder andere Barbar - Euch wieder tief in die Wälder Germaniens zurückziehen würdet und sie allein
    bestimmen könnten, wer regiert. Allerdings repräsentiere ich diejenigen, die es gern sehen würden, wenn Italien seinen Frieden und seine Sicherheit zurückgewänne. Wir Senatoren wissen aus unserer Erfahrung mit Anastasius - als er noch ein unbedeutender Schatzkämmerer war -, daß er dazu
    neigt, zu zögern und abzuwarten. Deshalb schlage ich Euch folgendes vor: Wenn Ihr mir eine Eskorte bereitstellt und mir freies Geleit gebt, gehe ich nach Konstantinopel. Ich werde Anastasius dazu drängen, sofort zu verkünden, daß
    Odoaker entthront ist und daß Ihr fürderhin Theodericus Rex Romani Imperii Occidentalis seid.«
    »Rex Italiae genügt«, entgegnete Theoderich mit einem
    Schmunzeln. »Ich kann solch ein Angebot schwerlich
    abschlagen, Senator, und ich weiß Eure guten Absichten zu schätzen. Geht, auf daß Ihr erfolgreich sein möget. Wenn Ihr Euch von hier nach Norden wendet, kommt Ihr auf die
    flaminische Straße, welche nach Ariminum führt, wo
    Lentinus, der Nauarch der Adriatischen Flotte, gegenwärtig an einem gewissen Projekt arbeitet. Mein Marschall Thorn kennt die Straße und den Nauarchen. Er wird Euch und Eure Leute begleiten und dafür sorgen, daß Lentinus Euch an Bord des ersten Schiffes setzt, das nach Konstantinopel segelt.«
    So zogen Theoderich und sein Heer ohne mich weiter, und ich führte Festus' kleinen Zug den Weg zurück, den wir gekommen waren.
    In Ariminum lieh Lentinus Festus bereitwillig ein schnelles Küstenboot mit Besatzung und schickte ihn geradewegs
    nach Konstantinopel. Dieses Schiff war das kleinste der dromones, schneller Boote zum Transport von Gütern, und der Senator konnte nur zwei Leute aus seinem Gefolge
    mitnehmen; der Rest wurde bis zu seiner Rückkehr gegen Bezahlung in Ariminum einquartiert. Das kostete allerhand, da der Senator mindestens vier Wochen lang unterwegs
    sein würde.
    Lentinus ließ mir keine Zeit, die Stadt zu besichtigen. Er drängte mich, mir doch anzuschauen, was sich in der
    Zwischenzeit hinsichtlich einer Blockade Ravennas getan hatte. Am späten Nachmittag erreichten wir die Stelle, an der unsere Belagerungslinie landeinwärts am südlichen Seeufer der Stadt endete. Unsere Wachen waren vorsichtigerweise außerhalb der Schußweite der die Stadt verteidigenden
    Bogenschützen postiert, aber doch nahe genug, daß wir die Reede sehen konnten.
    »Ravenna selbst ist von hier aus nicht zu sehen«, sagte Lentinus, als wir zwischen den Besatzungstruppen absaßen.
    »Was Ihr dort drüben seht, das Hafenbecken, die
    Landungsbrücken, die Baracken und so weiter, das ist das Arbeiter- und Handelsviertel der Stadt, der Hafen Classis.
    Der patrizische Teil, Ravenna selbst, liegt noch zwei bis drei Meilen landeinwärts. Es ist mit Classis durch einen Damm verbunden, der durch die Sümpfe führt und an dem entlang die Hütten der Arbeiter liegen. Dieser Vorort heißt
    Caesarea.«
    Gewöhnlich hätten wir sogar aus dieser Entfernung die
    vielen Träger, Karren und Wagen sehen können, die
    normalerweise am Kai herumfuhrwerkten, doch heute war
    kein Zeichen menschlichen Treibens zu beobachten. Die
    Häuser am Hafen waren verriegelt, kein Schmiedefeuer
    brannte, und die Kräne standen still.
    Im ganzen Hafen bewegten sich nur sechs Gegenstände:
    plumpe Schiffe, die schwerfällig hintereinander von einem Ende des Hafens zum anderen paddelten. Sie schwankten
    und schaukelten im Wasser, doch irgendwie gelang es
    ihnen, in einem gewissen Abstand zwei parallele Reihen zu bilden. Drei Schiffe segelten in die eine, drei in die entgegengesetzte Richtung. Wären die Schilde der Krieger nicht gewesen, die über die Bordwände hinausragten, und die vielen Lanzen, die in den Himmel stachen, die Schiffe hätten wie große, harmlose Kisten ausgesehen. Jedes wies zwei Ruderbänke auf, aber keinen Mast, jedes war an den Seiten verkleidet und quadratisch, so daß jedes Ende
    entweder Bug oder Heck sein konnte.
    »So müssen die Ruderer beim Hin- und Herfahren nicht
    immer manövrieren«, erklärte Lentinus. »Es ist viel einfacher für sie, sich auf ihrer Bank umzudrehen, als die ganze schwerfällige Kiste zu wenden. Und so wie sie über den Hafen verteilt sind, können trotz ihrer Langsamkeit immer zwei davon - eines vorwärts- und eines rückwärtsgerichtet -
    jedes Schiff

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