Der Greif
seinen Willen zu einem Glauben gezwungen
werden.« Genau das aber hatte die römische Kirche im
Sinn: die ganze Menschheit ihrem Glauben zu unterwerfen.
Wenn die Kleriker Theoderich, dem ungläubigen
Eindringling, bisher nur Mißtrauen entgegengebracht hatten, dann schlug dieses Mißtrauen nach seinem »non
possumus« um in Haß. Sie verdammten ihn als eine tödliche Gefahr für ihre Mission in dieser Welt, für ihre heilige Berufung, für ihre bloße Existenz, und zitierten zur
Rechtfertigung Jesus: »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.« Von diesem Zeitpunkt an arbeitete die katholische Kirche unablässig und unbarmherzig am Sturz Theoderichs und setzte allen seinen Anordnungen erbitterten Widerstand entgegen.
Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, muß ich hinzufügen, daß nicht alle Kirchenleute Theoderich Steine in den Weg warfen. Der Bischof von Ticinum, ein Mann namens
Epiphanias, kam eines Tages mit einem interessanten
Vorschlag zu Theoderich. Ich glaube zwar, daß Epiphanius nur seine Position, sei es in der Kirche oder unter den Gläubigen, festigen wollte. Nichtsdestoweniger konnte auch Theoderich von seinem Vorschlag profitieren. Epiphanius erinnerte an die mehr als tausend italienischen Bauern, die von den brandschatzenden Burgundern unter König
Gundobad verschleppt worden waren. Deren Auslösung aus der Gefangenschaft und Heimführung würde, so Epiphanius, Theoderich viele Freunde gewinnen. Er selbst, Epiphanius, würde sich als Unterhändler zur Verfügung stellen.
Theoderich akzeptierte diesen Vorschlag nicht nur, sondern gab Epiphanius zudem noch eine berittene Zenturie und
genügend Gold als Lösegeld mit auf den Weg. Außerdem
vertraute er dem Bischof seine Tochter Arevagni an, die er König Gundobads Sohn, dem Kronprinzen Sigismund, zur
Frau anbieten sollte.
»Was soll das, Theoderich?« protestierte ich. »Gundobad hat dich hinterrücks überfallen und ausgeraubt, während du in einen Krieg verwickelt warst. Du selbst hast ihn als den feigen Sohn einer räudigen Hündin beschimpft. Der Mann hat eine Lektion verdient, eine gewaltsame Lektion. Aber nein, nicht genug, daß du ihm ein Lösegeld für die Heimkehr der Gefangenen anbietest. Du willst ihn auch noch zum
Schwiegervater deiner königlichen Tochter machen?«
»Arevagni ziert sich nicht«, entgegnete er mir geduldig.
»Warum also du? Irgendwann muß das Mädchen irgend
jemanden heiraten. Sigismund wird dereinst König eines stolzen Volkes werden - eines Volkes, das an Italiens
nordwestlicher Grenze lebt. Denk nach, Saio Thorn. Je
besser es diesem Land geht, und das ist schließlich mein Ziel, desto mehr wird es habgierige Fremdlinge anziehen.
Indem ich die anderen Könige, besonders die Söhne von
räudigen Hündinnen, zu meinen Verwandten mache,
verringere ich die Gefahr, daß sie meine Feinde werden.
Väi, ich wünschte nur, ich hätte mehr Nachkommen, für die ich vorteilhafte Heiraten arrangieren könnte.«
Nun, es war Theoderichs Reich, und Arevagni war seine
Tochter, die er verheiraten konnte, wie es ihm beliebte. Mir blieb nichts als einzusehen, daß in der Kunst der
Staatsführung der Zweck die Mittel heiligt, und Theoderich, wie jeder andere Herrscher auch, diese Kunst beherrschen mußte.
Fortuna, die Schicksalsgöttin, war Theoderich in jener Zeit wohlgesonnen. Dafür geizte sie mir gegenüber mit ihrer Gunst um so mehr. Man hätte fast glauben können, Bischof Johannes' Drohung, ich würde für die Mißhandlung des
geheiligten Severin bestraft werden, bewahrheitete sich.
Hatte er mich mit einer christlichen Version der Insandijs der Alten Religion, mit einem Fluch, belegt?
Folgendes hatte sich zugetragen: Obwohl wir nie
herausfanden, wer die Verräter waren, die Odoaker und
Ravenna vom Meer her mit Vorräten versorgt hatten, war ich doch zufrieden mit mir selbst, weil ich den Exilanten erwischt hatte, der für die falschen Salzzüge verantwortlich war.
Zenturio Gudahals war es, der den alten Georgius
Honoratus aus Haustaths anschleppte. Georgius, nicht zu unrecht um sein Wohl fürchtend, war bei guter Gesundheit.
Wenn seine Haare, seine Haut, ja, sein Geist schon seit jeher grau waren, dann waren sie es jetzt um so mehr. Ich bezweifle, daß ich ihn ohne weiteres wiedererkannt hätte. Er jedenfalls erkannte mich nicht, und ich wechselte kein Wort mit ihm, sondern befahl, daß er im Kerker von Ravenna zur Vernehmung durch mich bereitgehalten würde. Ich
gratulierte Gudahals zu seiner guten
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