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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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marmornen
    Gittern gearbeitet, in deren Zwischenräume blaue, grüne und violette Glassteine eingesetzt waren. An den Wänden des Raumes, in dem wir uns unterhielten, befanden sich vier Mosaike, auf denen die vier Jahreszeiten dargestellt waren: Die Blumen des Frühlings, die sommerliche Kornernte, die Weinlese im Herbst und das Beschneiden der Olivenbäume im Winter. In einem aber unterschied sich die Villa nicht einmal von den schäbigsten Hütten unten am Hafen: Hier wie dort hingen feuchte, die heißen Sommerwinde kühlende Matten an den Eingängen.
    Festus erbot sich, dem Marschall und Botschafter des
    Königs eine angemessene Unterkunft zu besorgen.
    Innerhalb weniger Tage konnte ich ein Stadthaus in der Vicus Jugarius beziehen, der Straße, wo vor ihrem Umzug nach Ravenna die Abgesandten der fremden Mächte
    residiert hatten. Das Haus war weder ein Palast noch eine Villa, aber für meine Ansprüche luxuriös genug, und hatte gesonderte Unterkünfte für die Haussklaven, bei deren Kauf mir Festus ebenfalls behilflich war. (Etwas später erwarb ich ohne den Beistand von Ewig oder Festus in einem
    Wohnviertel jenseits des Tiber, auf der anderen Seite der aurelianischen Brücke, ein etwas bescheideneres Haus, das Veledas Refugium in Rom sein sollte.)
    Festus stellte mich anderen Römern aus seinen Kreisen
    vor. Einmal begleitete er mich zu einer Sitzung des Senats in die Kurie, ein Ereignis, das ich, so versicherte er mir, beeindruckend finden würde. Wie jeder Provinzler stellte ich mir unter einer Senatssitzung eine Angelegenheit größter Feierlichkeit und Bedeutung vor. Ich wurde aber enttäuscht und fand das Ganze äußerst langweilig. In den Reden ging es um unwichtige Nebensächlichkeiten, und selbst die
    törichtsten, langatmigsten Vorträge wurden mit Ausrufen wie
    »Gut gesagt!«, »Vere diserte!« und »Nove diserte!« von allen Rängen begrüßt.
    Was diese Sitzung für mich rettete, war, daß Senator
    Festus selbst sich erhob und einen Antrag stellte: »Ich bitte diese Zusammenkunft der Senatoren und Götter...«
    Die Vorrede zog sich in die Länge und unterschied sich darin von keiner der anderen Reden, die ich an diesem Tag vernommen hatte. Aber dann beantragte Festus, die
    Oberherrschaft des Flavius »Teodericus« Rex über Rom
    anzuerkennen. Der Vortrag wurde von allen Anwesenden
    pflichtbewußt mit »Vere diserte!« und »Nove diserte!«
    gelobt, selbst von den Senatoren, die, als Festus ein
    Zeichen des »Willens von euch Senatoren und von den
    Göttern« erbat, dagegen stimmten. Der Antrag wurde mit einer bequemen Mehrheit (der Senatoren, die Götter hatten offensichtlich vorgezogen, sich der Stimme zu enthalten) angenommen. Der Segen des Senats mochte zwar wenig
    wert sein, aber mir gefiel, daß er dem Erzbischof von Rom ganz erheblich mißfiel. Das nämlich fand ich an einem der nächsten Tage während einer Audienz beim Erzbischof
    heraus, die Festus arrangiert hatte.
    Vor Gelasius' Kirche, der Lateranbasilika, wurde ich von einem der Kardinaldiakone erwartet, dessen Bekanntschaft ich bereits in Ravenna gemacht hatte. Er geleitete mich zum Audienzraum des Bischofs und wies mich ernsthaft an: »Es wird erwartet, daß Ihr den souveränen Pontifex mit
    ›glorissimus patricius‹ ansprecht.«
    »Das werde ich nicht tun«, antwortete ich kalt.
    Der Diakon schnappte nach Luft, aber ich ignorierte ihn einfach. In meiner Kindheit hatte ich als Schreiber von Dom Clement viele seiner Briefe an andere Erzbischöfe
    geschrieben und kannte daher die traditionelle Anrede -
    Auctoritas. Zu mehr wollte ich mich nicht herablassen.
    »Auctoritas«, begrüßte ich ihn, »ich bringe Euch Grüße von meinem Souverän, König Flavius Theodericus. Ich habe die Ehre, sein Stellvertreter in dieser Stadt zu sein, und ich biete Euch meine Dienste an, die Botschaften, die Ihr ihm übermitteln möchtet -«
    »Übermittelt ihm meine Grüße«, unterbrach er mich
    frostig. Dann raffte er seine Robe, gerade so, als ob er die Unterhaltung für beendet hielte.
    Gelasius war ein großgewachsener, hagerer Greis, blaß
    wie Pergament und von sehr asketischem Äußeren. Seine
    Gewänder aber waren alles andere als asketisch, sondern üppig, aus weicher Seide, reich bestickt und gänzlich anders als die einfachen braunen Roben aus Bauernleinen, die der Klerus normalerweise, vom einfachsten Mönch bis hinauf zum Erzbischof von Konstantinopel, trug.
    Beim Gedanken an den Erzbischof von Konstantinopel fiel mir der Streit ein, der

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