Der Greif
Hand auf mich zukam. »Ich habe mich schon gefragt«, sagte er,
»wann endlich meine Leute hier ankommen werden.« Jetzt erkannte ich ihn. Er war Ewig, ein berittener Soldat, den ich in Bononia, wo ich ihn zum letzten Mal gesehen hatte, dem südwärts fliehenden Tufa auf die Fährte gesetzt hatte.
Zuerst war ich etwas verblüfft, denn Ewig hatte mich damals als Veleda kennengelernt. Aber dann sagte ich mir, daß er den Marschall Thorn vom Sehen her noch viel länger
kennen mußte.
Wir reichten uns auf die römische Art die Hände, während er ohne Unterlaß weiterfaselte. »Ich brach in Freudenschreie aus, als ich hörte, daß der verruchte Tufa tot war. Ich wußte, es war Euer Werk, Saio Thorn. So hatte es die Dame Veleda versprochen. Ach ja, wie geht es der edlen Dame?«
Ihr ging es gut, versicherte ich ihm. Aber auch er,
bemerkte ich ihm gegenüber, schien nicht schlecht
dazustehen, zumindest für einen gemeinen Soldaten auf
Spähdienst.
»Ja. Die Dame Veleda trug mir auf, hier in der Gegend zu bleiben und die Augen offenzuhalten. Was ich seitdem von hier aus auch getan habe. Doch mir schien, es könne nicht schaden, sich auch anderweitig umzusehen. Als der Wirt dieser Herberge starb, verlor ich keine Zeit, seine Witwe zu umwerben. Wie Ihr seht, sind die Taverne, sie und ich
selbst« - dabei tätschelte er sein Bäuchlein - »damit ganz gut gefahren.«
Wir, meine Eskorte und ich, quartierten uns bei Ewig ein.
Ewig, der inzwischen fließend Lateinisch sprach und sich in der Stadt gut auskannte - zumindest in jenen Teilen, die einem Gemeinen zugänglich waren - übernahm hocherfreut die Rolle meines ortskundigen, wohlbewanderten Führers durch Rom. Er zeigte mir all jene Monumente und
Wahrzeichen, die jeder Besucher der Stadt einmal gesehen haben muß - und ebenso viele Plätze, von deren Existenz die meisten Besucher keine Ahnung haben. Etwa das
Subura-Viertel, wo einem Gesetz zufolge alle Prostituierten leben müssen. Ich will mich nicht damit aufhalten, die zahllosen Bauwerke und Aussichten zu beschreiben, die
sowieso jeder, auch wenn er noch nie in Rom war, kennt.
Wer etwa weiß nicht, wie das Amphitheater Flavians
aussieht, im Volksmund auch Kolosseum genannt, nach
dem Koloss Neros, der unmittelbar davor in die Höhe ragt.
Hier finden Spiele, Vorführungen, Spektakel und
Wettkämpfe von Ringern, Faustkämpfern und bewaffneten
Männern mit wilden Bestien statt.
Mehr als einmal nahm Ewig mich mit, wenn er mit seinem kleinen Eselskarren dies und das für seine Taverne
besorgen ging. So gut wie nie erledigte er seine
Besorgungen auf den großen Marktplätzen der Stadt, und die Personen, die er mir vorstellte, kamen mir nicht gerade besonders ehrbar vor. Oft führten ihn seine Wege in die Straße des Janus, in der es vor Wucherern, Geldwechslern und Pfandleihern nur so wimmelt; oder in das Viertel, wo die Warenhäuser Pfefferlager genannt werden, obgleich dort weit mehr als nur Pfeffer feilgeboten wird. Ab und zu sah man uns auch auf der Via Nova, wo Roms eleganteste
Geschäfte die allerfeinsten Güter anbieten. Allerdings wickelte Ewig seine Geschäfte hier an den Hintertüren ab.
Meistens jedoch tätigte er seine Einkäufe an den Ständen bei den Bootsanlegestellen unten im Hafen.
Nach einiger Zeit hatte Ewig mir alle Teile der Stadt
gezeigt, die er kannte, und mir das einfache Volk Roms vorgestellt, von räuberischen Seemännern über
verschlagene Pfandleiher bis hin zu den käuflichen Frauen.
Jetzt war es, so entschied ich, an der Zeit, Roms
Oberschicht zu erkunden. Ich erfragte den Wohnort von
Senator Festus, der in einer der imposanten Villen entlang der Via Flamina residierte. Das Wort »Villa« bezeichnet eigentlich einen Landsitz, und vielleicht hatte einst sogar offenes Land Festus' Haus umgeben. Aber das Wachstum
Roms hatte schon vor langer Zeit die Stadtmauern weit über diesen Ort hinausgeschoben. Nur noch der Name
»Marsfelder« gemahnte an diese vergangene Zeit, längst schon war der freie Platz zwischen der Via Flamina und dem Tiber eng mit vornehmen Häusern bebaut.
Der Senator begrüßte mich herzlich - natürlich als »Torn« -
sandte Sklaven nach Süßspeisen und Wein. Eigenhändig
schenkte er mir Wein vom Berg Massicus ein, den er mit mosylonischem Zimt, dem besten, nur von den Spitzen
gepflückten Zimt, würzte. Die Villa, eher schon ein kleiner Palast, war aufs reichste ausgestattet mit Standbildern und Seidenvorhängen. Die Fenster waren aus
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