Der Greif
seine
Glaubwürdigkeit. Dies verleiht ihm sogar den Schein nobler Selbstaufopferung. Ist es nicht so?«
»Nein«, antwortete er recht mürrisch. »Theoderich hatte recht. Odoaker hätte es nicht um Severinus' willen getan. Ich mußte ihm mehr bieten als einen Heiligen.«
»Dann habt Ihr ein zusätzliches Argument eingebracht?
Nun, wenn es dazu dient, Odoaker zu überzeugen, billige ich Eure Erfindungsgabe.«
Da der Erzbischof dahinritt, ohne etwas zu sagen, fuhr ich fort: »Ihr scheint über Euren Erfolg nicht sehr glücklich zu sein.«
Noch immer sagte er nichts, also fragte ich stirnrunzelnd:
»Bischof, was habt Ihr Odoaker geboten? Sein Leben?
Sicheres Exil? Eine Befugnis? Was?«
Er stieß einen Seufzer aus, daß seine Backen zitterten.
»Mitregentschaft. Herrschaftsteilung mit Theoderich. Beide regieren Seite an Seite wie die königlichen Brüder
Burgunds.«
Ich zügelte Velox und brachte durch einen Griff in seine Zügel auch das Pferd des Erzbischofs zum Stehen. »Seid Ihr verrückt?« zischte ich.
»Theoderich sagte - Ihr wart dabei, Ihr habt es gehört -
daß es ihm gleichgültig sei, was ich vorschlage.«
Ich starrte den Bischof entgeistert an. »Theoderich nahm fälschlicherweise an, daß Ihr gesunden Menschenverstand habt. Wenn er herausfindet, daß er sich geirrt hat, wird er es außerordentlich bereuen - und Ihr auch, eheu, das sehe ich schon jetzt.«
Johannes' dicke Unterlippe zitterte, als er eigensinnig beharrte: »Ich habe mein Wort gegeben. Odoaker hat es
akzeptiert, und das wird auch Theoderich tun müssen.
Schließlich bin ich Erzbischof.
»Ein Dummkopf seid Ihr! Theoderich wäre besser
gefahren, hätte er den sabbernden Greis Severinus
geschickt. Das ist mir neu, daß der Besiegte dem Sieger die Bedingungen stellt. Schaut her! Hier steht Theoderich, triumphierend über das ganze Land. Und hier liegt Odoaker, niedergestreckt, zermalmt, doch er schüttelt die Faust und prahlt: »Ich bin Euch ebenbürtig, auf Befehl des Erzbischofs Johannes!« Angewidert warf ich die Zügel zurück. »Kommt weiter. Ich kann kaum erwarten, dies zu sehen.«
Wieder betonte er, diesmal allerdings mit einem Zittern in der Stimme: »Ich habe mein Wort gegeben. Das Wort eines Erz...«
»Haltet ein«, unterbrach ich ihn und brachte Velox
nochmals zum Stehen. »Ihr habt doch sicher
Vereinbarungen getroffen, nach denen die Begegnung
dieser beiden brüderlichen Könige vonstatten gehen soll, nach denen ihre groteske Herrschaftsteilung besiegelt wird.
Welche Vereinbarungen habt Ihr getroffen?«
»Nun, natürlich wird eine prunkvolle Zeremonie stattfinden.
Theoderich zieht an der Spitze seiner Truppen in Ravenna ein. Er erhält einen Triumph nach den festgelegten Regeln des Zeremoniells. Ich selbst verleihe ihm den Lorbeer und die Toga picta. Das Heer leistet den Treueeid. Das Volk auf den Straßen wirft sich demütig vor ihm in den Staub. Nach den Siegesgebeten in der Kathedrale begibt sich Theoderich zu Odoakers Residenz, dem Kaiserpalast ad Lauretum. Dort wartet ein Festessen auf ihn. Die beiden Männer umarmen sich in aller Freundschaft und...«
»Das reicht«, unterbrach ich ihn und er schwieg, während ich mir alles nochmals vergegenwärtigte. »Ja, das ist
großartig«, meinte ich dann, »Theoderich hält Einzug, das Verteidigungsheer und die Bevölkerung unterwerfen sich. Er wird nicht mehr erwarten, weil Ihr ihm nicht mehr sagen werdet, Erzbischof. Laßt ihn glauben, daß er Odoaker nur begegnen wird, um als Zeichen der Unterwerfung sein
Schwert entgegenzunehmen.«
Der Erzbischof wich entsetzt zurück. »Ihr befehlt einem Erzbischof, er solle sündigen! Ich würde Theoderich
anlügen! Ich würde Odoaker gegenüber mein verbürgtes
Wort brechen!«
»Ein weiser Abt sagte mir einst, daß die Mutter Kirche es ihren Priestern gelegentlich erlaubt, zu einer frommen Lüge Zuflucht zu nehmen.«
Zum letzten Mal begehrte Johannes auf: »Ihr wollt, daß ich Theoderich unterstütze. Einen Arianer. Einen Ketzer. Wie könnte ich auch nur mein eigenes Gewissen davon
überzeugen, daß ich damit der Mutter Kirche diene?«
Spitz entgegnete ich: »Ihr erspart es ihr, einen neuen Erzbischof für ihr Episkopat in Ravenna suchen zu müssen.
Jetzt kommt und erzählt Theoderich, daß er die
bedingungslose Kapitulation hat, die er wollte.«
Und so kam es, daß Theoderich - weil ich sicherstellte, daß mein König nichts von dem Pakt der Mitregentschaft erfuhr, dem Odoaker zugestimmt hatte - seine
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