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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Wolken die
    Sonne und den Polarstern. Dennoch glaubte ich, wenn ich dem Vorgebirge der hohen Alpen im Süden folge...«
    Der Alte schüttelte den Kopf. »Hattest du nicht den ganzen Weg über den Wind im Gesicht? Das ist der Aquilo, der
    Nordostwind. Das Vorgebirge macht zwar tatsächlich
    irgendwann einen Knick nach Osten, im Augenblick jedoch gehst du in Richtung der römischen Garnisonsstadt Basilia, wo auch ich hinwill.«
    »Herr im Himmel«, murmelte ich, und zum ersten Mal
    bekreuzigte ich mich nicht dabei.
    »Wenn du Jäger und Fallensteller werden willst, mußt du noch viel lernen.«
    »Aber Ihr seid ein erfahrener Waldläufer, Fräuja. Ihr habt lange in diesen Wäldern gelebt. Warum zieht Ihr jetzt in die Stadt?«
    »Ich mag vom Leben in den Wäldern etwas kauzig
    geworden sein«, sagte der Alte mürrisch, »aber ich bin noch nicht vollkommen übergeschnappt. Ich jage nicht aus
    Gewohnheit oder weil ich nichts anderes zu tun hätte oder blutrünstig bin oder mir den Bauch vollschlagen will. Ich bin Pelzjäger. Das dort sind Bärenfelle.«
    Er wies auf einen großen, mit einer Schnur
    zusammengebundenen Ballen, der sicher in der Gabel eines Baumes verwahrt war.
    »Ich gehe nach Basilia, um meine Bärenfelle zu verkaufen und meine Vorräte aufzustocken. Die Stadt ist nicht das Richtige für mich, ich bin kein Stadtbewohner. Sobald ich meine Felle verkauft habe, ziehe ich nach Osten an den großen See, den man Lacus Brigantinus nennt. Im Frühjahr schmilzt das Eis auf den Flüssen dieser Gegend, und die Biber kommen aus ihren Bauten; ihr Fell ist in dieser Zeit von auserlesener Qualität.«
    Ich überlegte. Der Alte schien andere Menschen zu
    verachten und zu verabscheuen. Er hatte kein Benehmen, fluchte, war gottlos und glaubte an keine einzige Religion, wie ich schnell herausfand. Allein die Nähe zu ihm konnte mich verderben und für alle Ewigkeit verdammen. Und ich durfte nicht erwarten, von dem alten Sonderling je freundlich behandelt zu werden. Andererseits kannte er sich im Wald aus, und wenn es dort wirklich so gefährlich war...
    Zögernd sagte ich: »Fräuja, da wir beide in dieselbe
    Richtung gehen... vielleicht könnten wir miteinander reisen, und Ihr könntet mir das Jagen beibringen.«
    Jetzt war es an ihm zu überlegen. Er musterte mich lange, bevor er sprach. »Ich könnte dich schon gebrauchen.
    Glaubst du, daß du den großen Ballen Felle schleppen
    kannst?«
    Armer Alter, dachte ich, du bist nicht mehr der starke Mann, der du gern sein würdest. Wahrscheinlich stolperst du andauernd und jammerst und klagst, mürrisch wie du bist.
    Wahrscheinlich wäre ich ohne dich noch besser dran; ich könnte besser auf mich aufpassen und käme schneller
    voran. Doch ich hörte mich sagen: »Ja, das müßte gehen.«
    »Also gut. Jetzt ist aber für heute genug geredet. Hier, Junge« er ergriff einen seiner Pelze und warf ihn mir zu -
    »darin schläfst du wärmer als bisher.«
    Er legte sich an das inzwischen heruntergebrannte Feuer, nahm von irgendwoher einen Blechnapf, aus dem er sonst offensichtlich aß und trank. Dann nahm er einen Kieselstein in die Hand und legte sich so zum Schlafen hin, daß seine Hand über dem Napf hing. Erst fragte ich mich, warum er das tat, dann gab ich mir die Antwort selbst: Wenn er nachts durch ein Geräusch aufgeschreckt würde, würde der Stein in den Napf fallen und das Scheppern ihn vollends aufwecken.
    Und jetzt hatte er ja auch noch mich, um eventuelle
    Angreifer in die Flucht zu schlagen.
    Dankbar rollte ich mich in den Pelz, den er mir gegeben hatte. Dann fragte ich: »Fräuja, da wir nun eine Zeitlang Reisegefährten sind - wie soll ich Euch nennen?«
    Er hatte nicht gesagt, ob er den Alemannen angehörte
    oder einem anderen Volk, und sein Akzent war mir
    unbekannt. Freilich half mir auch sein Name nicht weiter.
    »Man nennt mich Wyrd, den Waldläufer«, sagte der Alte. Im nächsten Moment war er eingeschlafen. Er atmete tief, doch lautlos, so daß in dieser Nacht weder wilde Tiere noch Raubvögel, noch herumstreunende Hunnen auf uns
    aufmerksam wurden.
    4
    Mit dem ersten Tageslicht wachten wir auf. Der Himmel
    war immer noch bedeckt, aber es hatte aufgehört zu
    schneien.
    »Ich bin Euch wirklich dankbar für das Fell, das Ihr mir gegeben habt, Fräuja Wyrd«, sagte ich. »Es war sehr...«
    »Schweig!« unterbrach er mich grob und so übellaunig wie am Tag zuvor. »Ich habe noch nicht gefrühstückt, deshalb kann ich kein dummes Geschwätz ertragen.«
    Er rollte

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