Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
Mitleid mit dir habe ich zugestimmt. Gib acht, worum du bittest, denn es kann sein, daß du es
    bekommst. Doch was immer du dann bekommst, Junge,
    mache das Beste daraus!«
    »Ja, Fräuja«, murmelte ich und biß die Zähne zusammen.
    »Mit mir zu reisen ist vielleicht kein Vergnügen und nicht bequem, doch du wirst viel lernen. Du wirst lernen, dich im Wald zurechtzufinden und den Körper zu stärken und die Sinne zu schärfen. Du mußt so stark werden wie ich!«
    Um die Rast zu verlängern, fragte ich: »Seid Ihr eigentlich ein Christ, Fräuja Wyrd?«
    Er antwortete geheimnisvoll: »Ich war einer. Inzwischen bin ich geheilt.«
    »Dann hattet Ihr wohl keinen guten Priester oder Kaplan oder Pastor. Was auch immer.«
    Wyrd grunzte. »›Pastor‹bedeutet›Schäfer‹, und Schafe
    sind dazu da, daß man sie schert. Ich ziehe es vor, kein Schaf zu sein. Aber jetzt auf, Junge. Wir schaffen es noch bis zur Höhle, bevor es dunkel wird, wenn du nicht nochmal hinfällst. Los!«
    Es gelang mir tatsächlich, den schrecklichen Marsch hinter mich zu bringen, ohne nochmals zusammenzubrechen.
    Wyrd sagte, wir seien vier Stunden unterwegs gewesen,
    aber für mich waren es vier Jahre, bis er endlich ankündigte, wir seien da.
    Vor Erleichterung und Dankbarkeit wäre ich fast wieder in den Schnee gefallen, ich fing mich jedoch gerade noch
    rechtzeitig. »Wo ist die Höhle?« keuchte ich. »Ich setze den Ballen erst in der Höhle ab.«
    »Sie ist dort drüben.« Wyrd wies auf einen mit Gestrüpp überwucherten Hang vor uns. »Doch du kannst den Ballen hier absetzen. Wir gehen erst hinein, wenn er
    herauskommt.«
    »Er?« krächzte ich.
    »Oder sie«, sagte Wyrd gleichgültig und legte sein Bündel ab.
    Meine Beine begannen unter der schweren Last zu zittern.
    »Ihr wollt... noch einen Bären töten?«
    »Vielleicht gibt er sein Fell ja freiwillig her«, sagte Wyrd beißend. »Beim Styx, Junge, ich habe dir gesagt, du sollst den Ballen absetzen. Tu es, bevor du selber umfällst.«
    Ich befreite mich von den Tragegurten und ließ die Felle hinter mir in den Schnee fallen. Ich konnte mich nicht sofort hinsetzen oder legen, denn mein Rücken war so krumm,
    daß ich fürchtete, für immer in dieser Haltung verharren zu müssen. Auf unsicheren Beinen stakte ich umher und
    versuchte, mich aufzurichten, während Wyrd prüfend den Bogen spannte und sich dann den Köcher umhängte, so daß die gefiederten Enden der Pfeile über seine rechte Schulter ragten.
    »Ihr geht allein hinein?« fragte ich ängstlich. Ich fürchtete, er könnte mir befehlen, mit ihm zu kommen.
    »Hinein?« Er funkelte mich an. »Ich habe dir doch gesagt, daß ich weder verrückt noch beschränkt bin. Ein Bär hat die Kraft von zwölf Männern und die Intelligenz von elfen. Bei Jalk, dem Bärentöter, bist du auf deiner Wanderung nie einem Bären begegnet?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er mich und stieg mit angelegtem Bogen vorsichtig den Hang hinauf. Er ging gebückt ungefähr in der Haltung, in der ich mich immer noch befand -, um nicht mit dem Kopf gegen die
    schneebeladenen Äste zu stoßen. Ich konnte den Eingang der Höhle nicht erkennen und deshalb nicht abschätzen, wie nahe Wyrd sich heranpirschte, doch ich sah deutlich, wie er sich hinter einen Busch duckte, die Höhle fixierte, langsam den Bogen hob und sorgfältig zielte. Dann schoß er in
    rascher Folge nacheinander mehrere Pfeile ab - so rasch, daß sein rechter Arm kaum noch zu sehen war, während der linke, der den Bogen hielt, so ruhig blieb wie der einer Statue.
    Im nächsten Moment stürmte ein riesiger brauner Bär aus der Höhle, die außerhalb meines Blickfelds lag. Er wirbelte eine Wolke von Schnee und abgerissenen Zweigen auf. Mit einem fürchterlichen Brüllen kam er zum Stehen, und als der Schnee sich lichtete, sah ich, daß eines seiner Vorderbeine von einem Pfeil durchbohrt war. Der Bär stellte sich auf, um besser über das Dickicht hinwegzusehen, und weißer
    Schaum troff aus seinem mächtigen, aufgerissenen Rachen.
    Wyrd zielte wieder und schoß. Obwohl der letzte Pfeil, soweit ich sehen konnte, nur den Unterkiefer des Bären durchbohrte, endete sein Gebrüll in einem verzweifelten, erstickten Laut, und das gigantische Tier fiel wie ein einstürzender Pfeiler nach hinten, rollte auf die Seite und blieb bewegungslos liegen. Nur seine krallenbewehrten
    Tatzen zuckten noch.
    »Es ist ein Männchen«, murmelte Wyrd, »also sind keine Jungen in der Höhle.«
    Mir war nun klar, daß

Weitere Kostenlose Bücher