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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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weiter, denn der Haushalt eines
    vornehmen Römers wird viel effizienter und hierarchischer geführt als eine christliche Abtei.
    Laufend wurde ich, bald schon von allen nur noch
    verächtlich »Alte« gerufen, von meinen Mitsklaven
    gescholten und bei Hakat angeschwärzt.
    Odoin, unser Herr, wußte wahrscheinlich den peniblen
    Dienst seiner Sklaven gar nicht zu schätzen und hätte
    kleinere Nachlässigkeiten wohl auch gar nicht bemerkt. Er war ein grobschlächtiger Soldat mit wallendem Bart, dem das Leben auf den Schlachtfeldern viel mehr lag als das in einer vornehmen römischen Villa. Sein Geist war, wie ich bald herausfand, auch mit Wichtigerem befaßt als mit
    Haushaltsangelegenheiten. Trotzdem ließ er sich einmal dazu herab, mich zu korrigieren. Er war jünger als ich selbst und nannte mich bei meinem neuen Namen. »Alte! Väi,
    kannst du meine Tische nicht abräumen, ohne mit dem
    Geschirr zu klappern? Man versteht ja sein eigenes Wort nicht mehr!«
    Es stimmt, in jener Nacht hatte ich meine Pflichten
    vernachlässigt. Doch nur, weil meine ganze Aufmerksamkeit seinen Gästen im Triclinum und ihrer Unterhaltung gegolten hatte. Im Verlaufe eines halben Monats war es mir gelungen, mehrere solcher Treffen zu belauschen. Stets hielt ich hinterher schriftlich fest, was ich gesehen und gehört hatte.
    Natürlich durften die anderen Sklaven nicht sehen, daß ich schreiben konnte. So traf ich mich spät in jeder Nacht mit Hakat, und er schrieb auf, was ich ihm diktierte, während ich mein dürftiges Nachtmahl aus Brotkrumen und anderen
    Speiseresten verzehrte.
    Eines Nachts sagte ich zu ihm: »Wir haben genügend
    Beweise gesammelt, um Odoin zu überführen. Du hast gut getan, junger Bruder, deinen Verdacht an Artemidorus
    weiterzugeben.«
    Am nächsten Tag verließen wir Odoins Haus. Bei mir, das heißt bei Veleda, angekommen, ließ ich Hakat als erstes eine saubere Abschrift unserer Aufzeichnungen anfertigen.
    Ich selbst nahm ein ausgiebiges Bad, um mich von
    Küchendreck und Fettgestank zu befreien. Als er mit der Abschrift fertig war, übergab ich die Rollen einem Boten.
    Hakat bat ich: »Bleib hier bis ich zurückkomme, junger Bruder. Draußen wird es heute für dich zu gefährlich sein.«
    Ich ging in Thorns Villa zurück, zog mein
    ebergeschmücktes Marschallsgewand über und machte
    mich auf den Weg zu Odoins Residenz. An seiner Tür
    empfing mich ein Diener, der mich gestern noch »altes
    Weib« gescholten hatte, mich aber heute natürlich nicht wiedererkannte. Ich bat um eine private Unterredung mit dem General. Als Odoin und ich es uns bei einer Amphore Falerner bequem gemacht hatten, zog ich die Papyrus-Rollen hervor und begann ohne Vorrede: »Diese Dokumente klagen Euch des Verrats und der Verschworung gegen
    König Theoderich an.«
    Odoin war überrascht, versuchte aber unberührt zu
    erscheinen: »Was Ihr nicht sagt! Ich werde Hakat, meinen Schreiber, herbeirufen. Er soll sie mir vorlesen.«
    »Hakat ist nicht hier. Er selbst nämlich war es, der diese Seiten beschrieb. Zur Zeit ist Hakat in meiner Verwahrung, damit er, sollte das notig sein, Zeugnis ablegen kann, daß diese Worte hier von Euch und Euren Mitverschworern
    stammen.«
    Das Gesicht des Generals lief dunkel an, und seine
    Barthaare sträubten sich: »Bei Wotan, Ihr habt mir diesen verschlagenen ausländischen Schönling verkauft. Wenn wir schon von Verschworung und Veirat reden...«
    Ich ignorierte seinen Wutausbruch und sagte: »Da Euer
    Schreiber abwesend ist, erlaubt mir, Euch die Dokumente vorzulesen.«
    Je länger ich las, desto aschfahler wurde Odoins
    Gesichtsfarbe. Einiges vom dem, worüber er und seine
    Gaste sich unterhalten hatten, war mir bereits zuvor zu Ohren gekommen. So war es allgemein bekannt, daß Odoin sich bei einem Landkauf hintergangen gefühlt hatte und mit der Sache vor Gericht gezogen war. Die Entscheidung war gegen ihn gefallt worden, woraufhin er Berufung bei einem höheren Gericht einlegte, das ebenfalls gegen ihn entschied.
    Schließlich landete die Angelegenheit vor Theoderich, der Odoins Klage endgültig abwies. Das gleiche war auch schon Theoderichs eigenem Neffen Theodahad passiert. Wahrend der mürrische Theodahad sich jedoch eingeschnappt
    zurückgezogen hatte, hatte Odoin danach getrachtet, sich für das ihm angeblich zugefugte Unrecht zu rächen.
    »Ihr habt um Euch alle Unzufriedenen versammelt, die Ihr auftreiben konntet«, warf ich ihm vor. »Hier, unter diesem Dach, habt Ihr Euch mit ihnen

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