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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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und das Reisen fiel ihm schwer. Kaum
    angekommen, zog er mich zur Seite und entdeckte mir den Grund für seine Anwesenheit.
    »Saio Thorn, ich wollte Euch diese Nachricht persönlich überbringen. Sie einem Botschafter zu geben, wäre zu
    gefährlich gewesen. In den Reihen von Theoderichs
    verläßlichsten Getreuen gibt es Verräter.«
    6
    Nachdem Artemidorus seine Ausführungen beendet hatte,
    entgegnete ich ihm kalt: »Ich bin Sklavenhändler geworden, um Menschen, die es sich leisten können, einen wertvollen Dienst zu erfüllen, nicht, um ihnen Spitzel unter die Nase zu setzen.«
    »Ganz Eurer Meinung, Saio Thorn«, antwortete
    Artemidorus ebenso kühl. »Ich warne meine Studenten
    dringlichst davor, zu lauschen oder zu tratschen. Selbst meine weiblichen Sklaven lernen, verschwiegen und
    zurückhaltend zu sein. Aber in diesem Fall geht es um mehr als nur um hohles Geschwätz.«
    »In der Tat. Es geht um den Ruf des Ostgoten Odoin, der, wie ich, Herzog ist und dessen Generalsrang dem meinen als Marschall gleichkommt. Gegen einen solchen Mann wagt Ihr das Wort eines Sklaven zu stellen?«
    »Eines meiner Sklaven«, sagte Artemidorus mit eisiger Stimme. »Ein Zögling meiner Schule. Und Hakat ist
    Tscherkesse, sein Volk ist berühmt für seine angeborene Ehrlichkeit.«
    »Ich erinnere mich an den Burschen. Ich selbst habe ihn Odoin als Schreiber verkauft. Trotz aller seiner Titel und Auszeichnungen hat der General nie lesen oder schreiben gelernt. Doch Odoins Residenz ist hier in Rom. Warum kam der Sklave mit einer solch gewichtigen Sache nicht gleich zu mir? Warum erst eine Botschaft nach Novae senden?«
    »Weil den Tscherkessen eine weitere Besonderheit zu
    eigen ist. Sie verehren den jeweils Nächstältesten
    bedingungslos. Ein junger Bursche wird, wenn sein älterer Bruder das Zimmer betritt, aufspringen und nicht sprechen, bevor sein Bruder gesprochen hat. Meine tscherkessischen Studenten scheinen in mir so etwas wie ihren älteren Bruder zu sehen. Mit ihren Sorgen kommen sie immer zu mir.«
    »So sei es denn. Ich werde dem jungen Hakat eine ältere Schwester zur Seite geben, um Licht in diese Sache zu
    bringen. Sag ihm Bescheid, daß er sobald wie möglich das Haus einer gewissen Dame Veleda aufsuchen soll...«
    General Odoin zählte nicht zu meinen engeren Bekannten, aber wir waren uns des öfteren am Hofe Theoderichs
    begegnet. Da ich mich selbst als Agent in seinem Haushalt betätigen wollte, mußte ich mich dergestalt verkleiden, daß er mich auf keinen Fall erkennen würde.
    Als Hakat sich in Veledas Haus jenseits des Tibers
    einfand, erklärte ich ihm mein Vorhaben. »Dein Herr kann unmöglich wissen oder sich darum scheren, wie viele
    Sklaven er besitzt. Du sorgst dafür, daß ich für eine Weile dazugehöre. Die anderen Sklaven werden die Autorität des Schreibers ihres Herren nicht in Frage stellen. Sag ihnen, ich sei deine verwitwete und der Armut anheimgefallene ältere Schwester, die dringend Arbeit braucht.«
    »Entschuldigt mich, Caia Veleda.« Der junge Mann
    hustete diskret. Er war hübsch wie alle Tscherkessen und versuchte die guten Manieren, die Artemidorus seinen
    Schülern beibrachte, zur Geltung zu bringen. »Das Problem ist... es gibt nicht viele Sklaven - nirgendwo! - von Eurer offensichtlichen höheren Abstammung und Eurem, äh,
    würdigen Alter.«
    »Hakat«, fuhr ich ihn, in meiner Eitelkeit verletzt, an.
    »Noch muß ich mich nicht hinter dem Kamin verstecken.
    Und sklavische Unterwürfigkeit kann ich gut genug imitieren, um selbst deine scharfen und wissenden Augen zu
    täuschen.«
    »Ich wollte nicht ungehörig sein«, beeilte er sich zu sagen.
    »Selbstverständlich seid Ihr, Herrin, schön genug, um als meine tscherkessische Schwester zu gelten. Sagt mir nur, Caia Veleda, in welcher Stellung Ihr dienen wollt.«
    »Väi, in der Küche, der Anrichte oder der Spülküche, das ist mir gleich. Schau nur darauf, daß ich sehen kann, wer deinen Herrn besucht, und Gelegenheit habe, seine
    Unterhaltungen zu verfolgen.«
    Und so, fünfzig Jahre nach meinen ersten jugendlichen
    Pflichten als Küchenhilfe, arbeitete ich - mit großem
    Vergnügen übrigens - wieder als einfache Spülfrau. Nur tat ich es diesmal für einen edlen Zweck und es dauerte auch nicht lange, bis meine Schauspielerei belohnt wurde. Ich muß zugeben, es fiel mir bedeutend schwerer, die
    diensteifrige Sklavin als den gewieften Spion zu spielen.
    Was ich von meinen Pflichten in St. Damian noch wußte, half mir hier kaum

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