Der Greif
auch
ausgestattet ist, eher klein, sozusagen ein
Schmuckkästchen. Nur ein... Klient pro Nacht wird
empfangen. Und niemand darf das Allerheiligste betreten, der nicht zuvor in einem Vorraum von Caia Melania
empfangen und ausgefragt wurde. Nicht nur Namen,
Herkunft, Rang und die Fähigkeit, ihre horrenden Preise bezahlen zu können, interessieren sie, sondern auch
Geschmack, Vorlieben, geheime Neigungen und frühere
Erfahrungen mit ehrbaren oder auch weniger ehrbaren
Frauen.«
»Schamlose Lüsternheit, so nenne ich das«, wandte
Boethius empört ein. »Welcher anständige Mann würde mit einer Kupplerin über seine Frau oder seine Geliebte reden?
Wozu sollte das gut sein?«
Symmachus blinzelte und legte einen Finger an die Nase:
»Erst wenn sie den Freier eingeschätzt und genau Maß
genommen hat, gibt sie einem versteckten Bediensteten ein geheimes Zeichen. Das bewußte Vorzimmer ist mit
zahllosen Türen ausgestattet. Auf ihr Zeichen hin öffnet sich eine davon und gibt den Blick auf die eine Frau frei, von der der Mann sein ganzes Leben lang geträumt hat, nach der er sich gesehnt hat wie nach keiner anderen. Das ist es, was Caia Melania verspricht. Und ich bin geneigt, ihren Worten Glauben zu schenken. Ach, Freunde! Was gäbe ich, wenn
ich nochmal ein Knabe von sechzig Jahren sein dürfte! Oder wenigstens ein Jüngling von siebzig! Ich wäre der erste in diesem Vorzimmer.«
»Geh ruhig, du unersättlicher Satyr«, lachte ein anderer Senator. »Und nimm deinen verruchten kleinen Bacchus mit.
Soll er für dich einspringen.«
Es wurden noch mehr anzügliche Witze gemacht, gelacht
und über Melania spekuliert, etwa, woher sie wohl ihre
»Traumfrauen« bezog. Aber mich berührte das wenig. Ich hatte zu meiner Zeit genügend Bordelle gesehen.
Schmuckkästchen oder nicht, was mehr würde es sein als ein Haus voller Huren, und was anderes als eine
gewinnsüchtige alte Kupplerin diese Caia Vidua Melania?
Dann lenkte Symmachus die Unterhaltung auf ernstere
Themen. »Gestern geschah etwas«, sagte er ernsthaft, »das mir Sorgen bereitet, und ich möchte wissen, ob ich mit dieser Sorge alleine stehe. Ein Bote des Königs überbrachte mir eine Botschaft, in der er mir seine Hochachtung
bekundete und mich bat, ein Gesetz vor dem Senat zu
unterstützen, das die Höhe der Zinsen, die Geldleiher
erheben dürfen, beschränkt.«
»Und das bekümmert dich?« fragte Liberius. »Nach allem, was ich hörte, ist das ein dringend gebotenes Gesetz.«
»Natürlich, natürlich«, pflichtete Symmachus bei. »Was mir Kopfschmerzen bereitet, ist, daß Theoderich mir genau diesselbe Botschaft schon vor mehr als einem Monat
überbringen ließ und ich die Eingabe mit einer langen Rede vor dem Senat unterstützt habe. Der Vorschlag wird, und davon habe ich Theoderich bereits in Kenntnis gesetzt, im Senat ohne Schwierigkeiten angenommen werden. Warum
also wiederholt sich Theoderich?«
Für einen kurzen Moment schwieg alles. Dann sagte
jemand großzügig: »Nun, Alter bringt Vergeßlichkeit mit sich...«
Symmachus rümpfte die Nase: »Ich bin älter als
Theoderich. Vergesse ich etwa, meine Toga
zurechtzuziehen, wenn ich aus der Latrine komme? Und
ganz bestimmt vergesse ich nichts, was mit wichtigen
Gesetzen zu tun hat.«
»Allerdings«, wandte ein Dritter ein, »hat ein König an mehr zu denken als ein Senator.«
»In der Tat«, ließ sich Boethius, ein treuer Anhänger
seines Herrn, vernehmen. »Und dieser Tage lastet die sich hinziehende Krankheit der Königin schwer auf Theoderich.
Sie lenkt ihn von allem anderen ab. Cassiodor und ich tun, was in unserer Macht steht, um seine Nachlässigkeiten
auszugleichen, aber manchmal schickt er Botschaften ab, ohne uns zu konsultieren. Doch sind wir fest davon
überzeugt, daß er wieder er selbst wird, sobald Audefleda wieder gesund ist.«
»Wenn Theoderich, selbst in seinem Alter, auf den
Verkehr mit einer Frau verzichten muß«, gab ein
anwesender Medicus zu bedenken, »dann ist es durchaus
möglich, daß er an einer Stauung seiner animalischen Säfte leidet. Die Kanäle des Körpers, das ist wohlbekannt,
verstopfen bei längerer sexueller Abstinenz. Das kann alle Arten von Unwohlsein verursachen.«
»Dann laßt uns doch«, warf ein junger und vorlauter
Patriziersohn ein, »den König hierher nach Rom einladen.
Soll er doch, solange seine Audefleda nicht bereit ist, das Bordell der Dame Melania zur Reinigung seiner Kanäle
benutzen.«
Einige der
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