Der Greif
Jedenfalls hatte sie sich im zarten Alter von neunzehn Jahren »zur Ruhe gesetzt«
und war »ehrbar« geworden, was nichts anderes hieß, als daß sie und ihr Körper hinfort ausschließlich Justinian zur Verfügung standen. Selbst jene, die sie am unerbittlichsten verabscheuten, mußten ihr Intelligenz, Gerissenheit und ein klug berechnendes Wesen attestieren - zahllose Dekrete und Edikte, die Justinian dem Reich als Willen des Kaisers Justinus verkündete, trugen Theodoras Stempel.
Justinian und Theodora wollten heiraten, sie aus
Geltungssucht, er, als aufrechter orthodoxer Christ, um seine Verbindung mit ihr zu legalisieren. Doch eines der ältesten Gesetze des römischen Reiches verbat
Edelmännern »mulieres scenicae, libertinae, tabernariae« -
also Schauspielerinnen, Huren und Wirtsfrauen -
zu
ehelichen. Deshalb wollte Justinian dieses Gesetz mit einem Zusatz versehen, der es einer dergestalt befleckten Frau ermöglichen würde, mittels einer »wundertätigen Buße« von ihren Makeln reingewaschen, mithin wieder in den Stand einer unberührten, heiratsfähigen Jungfrau zurückgeführt zu werden. Damit aber dieser Zusatz nicht sofort als Farce entlarvt werden würde, mußte die Buße zumindest
einigermaßen glaubhaft wirken. Und wer eignete sich besser als die Kirche dazu, die »Wundertätigkeit« einer Buße zu bestätigen? Kein Wunder, daß Justinian und Theodora alles unternahmen, um sich den christlichen Klerus gewogen zu stimmen.
Ihre Mühen trugen schon bald Früchte. Eine der am
lautesten gepriesenen Errungenschaften unter Justinus
Herrschaft war die »diplomatische Großtat«, mit der das Schisma, das die Kirchen Roms und Konstantinopels seit so vielen Jahren getrennt hatte, beendet wurde. Den
dogmatischen Anhängern beider Kirchen mußte das zwar
als verdammenswert erscheinen, doch andererseits hatte Justinus, indem er sich so offen mit diesen beiden Sekten der christlichen Kirche verbündet hatte, stillschweigend gegen alle anderen Religionen in seinem Reich Partei
ergriffen, auch gegen die »häretischen« Anhänger des
Arianismus. Was nicht weniger bedeutete, als daß der
Kaiser Ostroms ein erklärter Gegner der Religion des
gotischen Königs in Ravenna war. Eine Tatsache, die den Angriffen der römischen Kirche auf Theoderich natürlich zusätzliches Gewicht und zusätzliche Bedeutung verlieh.
Theoderich hatten die kleinmütigen Attacken der
katholischen Kirche nur selten gestört, meistens hatte er sie sogar eher belustigend gefunden. Doch der unversöhnliche Widerstand der Kirche gegen seine Herrschaft blieb nicht ganz ohne Auswirkung. So kam es zwischen Römern und
den gotischen Einwanderern nie zu der ihrem König
vorschwebenden freundschaftlichen Verschmelzung.
Einerseits blieben die Römer mißtrauisch und widersetzten sich Theoderichs wohlmeinendsten Anstrengungen in dieser Hinsicht. Andererseits warfen ihm seine gotischen
Landsleute vor, den undankbaren Einheimischen zuviel
Nachsicht entgegenzubringen. Obwohl Theoderich kein
Mann war, der sich übermäßig Sorgen machte, mußte er
doch vor Feinden, sowohl innerhalb als auch außerhalb
seines Machtbereichs, auf der Hut sein. Denn hätte einer der ausländischen christlichen Könige danach getrachtet, über das gotische Königreich herzufallen, oder sich ein
mißgünstiger christlicher Untertan Theoderichs zum
Aufstand berufen gefühlt, beide hätten sicherlich Mut aus dem Wissen geschöpft, daß die Kirche Roms ihre Anhänger jederzeit zur Unterstützung eines »christlichen Befreiers«
und zum bewaffneten Widerstand gegen den »häretischen«
Throninhaber aufrufen würde. Teilweise aus diesem Grund hatte Theoderich schon früh alle Römer von höherem Rang aus der Armee entlassen und später verfügt, daß keine
Person, die nicht im Militärdienst stand, Waffen besitzen durfte.
Seit dem schnellen Sieg über die Gepiden in Sirmium und der Vertreibung von Anastasius' Kriegsschiffen vor den Hafenstädten im Süden war Theoderichs Reich von keiner ausländischen Macht mehr angegriffen worden. Doch da
kündigte sich Unheil von einer gänzlich unerwarteten Seite an. Die ersten Gerüchte kamen mir zu Ohren, als eine
Lieferung neuer Sklaven aus Novae in Begleitung von
Artemidorus in Rom eintraf. Artemidorus' Anwesenheit
überraschte mich sehr, denn er verließ Novae nur selten. Er war nicht mehr jung, und sein klassisches griechisches Profil hatte gelitten. Er war, wie alle Eunuchen, im Alter korpulent geworden,
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