Der Greif
getroffen. Das beweisen diese Dokumente mit Namen von aufrührerischen Goten,
abtrünnigen Römern und katholischen Christen, darunter auch zwei Kardinaldiakone aus dem Gefolge des
Erzbischofs.«
Odoin machte eine Handbewegung, als ob er mir den
Inhalt seines Weinbechers ins Gesicht schütten oder die Papyrus-Rollen aus der Hand reißen wollte.
»Gebt Euch keine Mühe. Eine Abschrift dieser Seiten ist bereits unterwegs nach Ravenna. Und in diesem Moment
werden auch Eure Mitverschwörer verhaftet.«
»Und ich?« fragte er mit belegter Stimme.
»Laßt mich mit Euren eigenen Worten schließen: ›Im Alter ist Theoderich so schwach und rückgratlos wie Odoaker
geworden. Es ist Zeit, daß wir Theoderich durch einen
fähigeren Mann ersetzen.‹ Sagt mir, Odoin, wärt Ihr dieser fähigere Mann gewesen? Was, meint Ihr, wird Theoderich denken, wenn er diese Worte liest?«
Darauf antwortete Odoin nicht, sondern sagte nur: »Thorn, Ihr kamt nicht hierher, unbewaffnet wie Ihr seid, um mich festzunehmen.«
Gleichgültig blickte ich ihn an. »Ihr wart ein tapferer Krieger, ein guter General und, bis jetzt, ein treuer
Gefolgsmann des Königs. Angesichts Eurer Verdienste
wollte ich Euch Gelegenheit geben, dem, was Euch
bevorsteht, zuvorzukommen.«
Cassiodors Historica Gothorum berichtet, der Herzog Odoin sei, zusammen mit seinen Mitverschwörern, drei Tage später auf dem Forum Romanum enthauptet worden. Das
stimmt. Nur Artemidorus, Hakat, ich selbst und zwei meiner vertrauenswürdigsten Wachen, die den Verräter vor den
Scharfrichter führten, wußten, daß Odoin zu diesem
Zeitpunkt schon seit drei Tagen tot war. Auf die Art eines vornehmen Römers hatte er, in meinem Beisein, sein
Schwert gezogen, die Spitze auf seine Brust gerichtet, den Griff auf den Mosaikfußboden gestützt und sich mit seinem vollen Gewicht hineingestürzt.
7
Eines Tages brachte Ewig mir neue Nachrichten. Eine
gewisse Caia Melania, eine gerade erst in Rom
angekommene Witfrau, habe ein vornehmes Haus auf dem
Equilin gekauft, und eine stattliche Anzahl Handwerker sei dabei, es zu renovieren. Schön und gut, dachte ich, eine neue Bewohnerin, die den Leuten hier Arbeit und Brot geben konnte, aber ansonsten kaum der Rede wert.
Auch als in den nächsten Wochen mehrere meiner
Freunde den Namen Caia Melania erwähnten - meistens mit zustimmenden oder gar ehrfürchtigen Kommentaren über
die Summen, die sie ausgab - nahm ich davon kaum Notiz.
In Vindobona hatte ich einst eine Frau dieses Namens
gekannt. Ohne sonderliches Interesse fragte ich mich, ob es sich wohl um ein und dieselbe Person handelte. Allerdings war Melania kein sehr ausgefallener Name.
Ich horchte erst auf, als mir bei einem Empfang in der Villa von Symmachus, Roms Erstem Senator, Gerüchte über sie
zu Ohren kamen. Es war eine erlesene Gesellschaft, die sich an jenem Abend bei Symmachus eingefunden hatte,
darunter einige Senatoren und ihre Frauen; Theoderichs Ratgeber Boethius und seine Gattin; Liberius, zu der Zeit Gouverneur der Stadt, sowie eine ganze Anzahl weiterer hervorragender Bürger. Alle schienen sie weit besser über die Witwe Melania informiert zu sein als ich selbst. Viel wurde über die extravaganten Ausgaben dieser Frau
gesprochen und darüber, was hinter den Mauern ihres
Hauses wohl vorging.
Dann, als die Frauen sich aus dem Speisesaal
zurückzogen, damit wir Männer ungehemmter reden
konnten, verriet uns Symmachus, was er über diese
mysteriöse Frau wußte: »Sie ist eine reiche Witwe aus der Provinz. Und aus ihrem Haus will sie das vornehmste und teuerste Liebesnest seit den legendären Tagen Babylons machen.«
»Ach, eine Kupplerin nur?« Präfekt Liberius zeigte sich enttäuscht. »Hat sie denn schon eine Lizenz beantragt?«
»Ich sagte nicht, sie betreibe ein Bordell«, lachte
Symmachus. »Der Ausdruck wäre unpassend,
genausowenig wie das Wort Kupplerin eine zutreffende
Beschreibung der Witfrau Melania vermittelt. Ich habe sie getroffen. Sie ist eine sehr vornehme und gebildete Frau, die mir die Ehre erwies, mir ihr Haus vorzuführen. Einen
Stadtschreiber anzuweisen, für einen solchen Ort eine
Lizenz zu erteilen, wäre etwa so, als bestünde man darauf, Theoderichs Paläste zu lizensieren.«
»Trotzdem, ein gewerbliches Unternehmen...«, grummelte Liberius, der stets auf zusätzliche Steuern und Gebühren hoffte.
Symmachus ignorierte diese Bemerkung und fuhr fort zu
erzählen: »Dabei ist das Haus, so reichhaltig es
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