Der Greif
genug gedauert, ein Kind zu zeugen.
Und dieses Kind war von männlichem Geschlecht, ein
Umstand, der Theoderich - und mit ihm den ganzen Hof und alle seine Berater - überglücklich machte. Doch trübte Eutharichs unzeitiger Tod diese Freude beträchtlich. Auch Theoderichs Freude über den lange ersehnten männlichen Nachwuchs muß darunter gelitten haben, obgleich er das niemals offen zugab. Theoderich war, wie ich selbst auch, schon jenseits der sechzig, als Prinz Alarich geboren wurde.
Sollte Theoderich - was sehr wahrscheinlich war - sterben, bevor Alarich seine Mündigkeit erreichte, dann würde
Amalaswintha als Regentin die Herrschaft übernehmen, eine Aussicht, die niemandem behagte.
Nicht nur das weströmische Reich hatte Grund dazu,
sorgenvoll in die Zukunft zu schauen. Zur selben Zeit
nämlich starb in Ostrom Kaiser Anastasius. Anastasius, der sich Zeit seines Lebens vor Gewittern gefürchtet hatte, war im Purpurpalast aus Furcht vor einem heraufziehenden
Unwetter in einen Schrank geflüchtet, wo ihn seine Diener am nächsten Morgen tot auffanden.
Anastasius konnte zwar kaum zu den herausragenden
Herrschern seiner Zeit gezählt werden, aber sein Nachfolger in Konstantinopel war eine wahrhaftige Null, ein Nichts.
Justinus war ein einfacher Soldat gewesen, der sich auf dem Schlachtfeld bewährt und bis zum Kommandeur der
Palastwache von Anastasius hinaufgedient hatte. Nach
Anastasius' Ableben war er von seinen Offizierskollegen auf das Schild gehoben worden. Wagemut und Beliebtheit sind zwar schöne Tugenden, doch konnten sie seine zahllosen Schwächen, vornehmlich seine Unfähigkeit lesen oder
schreiben zu können, kaum aufwiegen. Wenn er einen
kaiserlichen Erlaß unterzeichnen wollte, pinselte er mit einer Feder über eine metallene Schablone, in die sein
Monogramm eingeritzt war. Auf diese Art und Weise
signierte Justinus Befehle, Edikte und Statuten, die nach allem, was er davon lesen konnte, ebensogut irgendwelche anzüglichen Tavernenlieder hätten sein können.
Was Justinus' Untertanen (und die Könige in den
umliegenden Reichen) viel mehr beunruhigte, war allerdings nicht seine offensichtliche Unfähigkeit für das Kaiseramt -
viele Völker gelangten gerade unter farblosen Herrschern zu ihrer Blütezeit. Sorgen machte ihnen vielmehr der Einfluß von Justinus' fähigem, zielstrebigem und machtbesessenem Neffen Justinian, den er zu sich an den Hof nach
Konstantinopel geholt hatte. Offiziell war Justinian der Quaestor und Schreiber seines Onkels, also Cassiodors
Gegenpart. Und Justinus hatte einen sprachkundigen,
gebildeten Berater bitter nötig. Während jedoch Cassiodor Theoderichs Worte nur tausendfach verstärkt erklingen ließ, verlegte sich Justinian schon bald darauf, die Worte des Kaisers nicht nur zu verkünden, sondern selbst zu
verfassen. Worte, die bei weitem nicht allen gefielen. Mit seinen fünfunddreißig Jahren hatte sich Justinian zum
wahren Herrscher in Konstantinopel aufgeschwungen. Da er seinem Onkel Justinus, der inzwischen Sechsundsechzig
Jahre zählte, nach dessen Tod auf den Thron nachfolgen würde, mußten die benachbarten Völker sehr zu ihrem
Mißfallen damit rechnen, auf längere Zeit mit einem Kaiser Justinian - heute de facto, morgen de jure auskommen zu müssen.
Schlimm genug, murrte das Volk, daß der alte Justinus
Unterstützung bei seinem ehrgeizigen Neffen suchte. Weit schlimmer jedoch war nach einmütiger Auffassung, daß
Justinian seinerseits auf die Einflüsterungen einer absolut indiskutablen Person hörte. Diese Person, eine junge Frau namens Theodora, wäre unter normalen Umständen selbst
von den einfachen Leuten auf der Straße gemieden worden.
Ihr Vater hatte als Bärenwärter im Hippodrom gearbeitet, sie selbst seit ihrer frühesten Kindheit als Schauspielerin. Allein ihre Herkunft und Tätigkeit hätten für einen schlechten Ruf mehr als ausgereicht, aber Theodora hatte es sehr viel weiter gebracht. Sie war berühmtberüchtigt dafür, bei ihren Vorstellungen, die sie von Konstantinopel über Zypern bis nach Alexandria führten, männliche Bewunderer sowohl auf als auch hinter der Bühne zu befriedigen. Diese privaten Vorstellungen gefielen ihr so sehr, daß sie, wie die Gerüchte gingen, einmal sogar beklagt haben soll, daß »eine Frau nicht genügend Öffnungen hat, um sich mehr als drei
Liebhabern gleichzeitig hingeben zu können«.
Irgendwo auf ihren Reisen mußte Justinian ihr begegnet und Hals über Kopf verfallen sein.
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