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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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nächste Kammer. Und du gehst auch mit. Wir haben Gäste, und sie wollen eine Kammer, die sie nicht mit einem schmierigen Sklavenhändler und seinen Charismaten teilen müssen.«
    Der Syrer, der Bar Nar Natquin hieß, wie ich später erfuhr, brachte ein zugleich liebenswürdiges und höhnisches
    Lächeln zustande, rang die Hände und sagte in griechisch gefärbtem Latein: »Ich werde mich beeilen, Eurem Befehl Folge zu leisten, Zenturio. Darf ich den Zenturio um
    Erlaubnis bitten, mit meinen Schützlingen die Bäder
    aufzusuchen, bevor ich sie zu Bett bringe?«
    »Du weißt genau, daß ich kein Zenturio bin, du
    speichelleckende Kröte. Von mir aus kannst du deinen
    Krötenlaich die Latrine hinunterspülen. Fort!«
    Die Knaben lachten in sich hinein, als ihr Herr so
    beschimpft wurde, obgleich die Beschimpfung sie selbst miteinschloß. Dabei fiel mir auf, daß sie alle sehr hübsch waren. Als der Syrer sie hinausführte, sagte Paccius: »Der schmierige Zuhälter Natquin hält seine Ware so sauber und appetitlich, wie nur möglich. Er hat sogar versucht, einen Knaben an mich zu verhökern. Aber ich schwöre, daß sich der Barbar selbst in seinem ganzen Leben noch nicht
    gewaschen hat. Wyrd, leg dein Bündel hier ab. Dein Bursche soll es auspacken, während du mit mir zu...«
    »Beim Donner Thors!« explodierte Wyrd. »Du kannst uns
    nicht wie Syrer und Sklaven herumkommandieren. Thorn
    lernt bei mir - bei Magister Wyrd, wenn du willst. Was immer ich von dem Legaten erfahre, Thorn soll es auch hören. Wir gehen zusammen zu Calidius.«
    »Wie Ihr wünscht«, sagte Paccius und warf verzweifelt die Hände hoch. »Aber geht jetzt!«
    Ich band den Juikabloth an mein Bett, dann folgten wir Paccius hinaus. Wir nahmen die Via Praetoria, die
    Hauptstraße, die quer zur Via Principalis verlief und an deren Ende sich das Praetorium befand, die Residenz des Legaten, seiner Familie und seines Gefolges. Als wir hinter Paccius hergingen, fragte ich Wyrd halblaut: »Sagt, Fräuja, was sind Charismaten?«
    »Nun, die Knaben, die wir gerade gesehen haben.« Er
    wies mit dem Daumen hinter sich.
    »Aber warum werden sie so genannt?«
    Er drehte den Kopf und sah mich seltsam an: »Du weißt
    nicht...?«
    »Woher soll ich es wissen? Ich habe das Wort nie zuvor gehört.«
    »Es kommt aus dem Griechischen«, erklärte er und sah
    mich immer noch von der Seite an. »Du weißt, was ein
    Eunuche ist?«
    »Ich habe davon gehört, bin aber noch keinem begegnet.«
    Jetzt sah mich Wyrd wirklich verblüfft an. »Charisma
    bezeichnet ursprünglich eine besondere Gabe eines
    Menschen. Ein Charismate ist eine bestimmte Art von
    Eunuche. Die auserlesenste und teuerste Art. Ein Eunuche hat keine Hoden mehr, ein Charismate hat gar nichts mehr.«
    Ich schwieg, und nach einer Weile wandte sich Wyrd mir nochmals zu und sagte: »Verzeih mir, Junge. Als du nach den Charismaten gefragt hast, war ich erstaunt, weil... nun, weil ich dich für einen von ihnen gehalten habe.«
    »Das bin ich keineswegs!« sagte ich heftig. »Ich bin
    überhaupt nicht verstümmelt!«
    Er zuckte mit den Schultern. »Verzeih mir, ich werde nicht weiter fragen. Ich will nicht einmal wissen, ob du ein Nachkomme des Hermaphroditus bist. Das ist mir völlig
    egal. Gehen wir also ins Praetorium, um zu hören, warum der erhabene Calidius so überglücklich ist, daß wir hier sind.«
    6
    Paccius führte uns durch einen Saal und zahlreiche
    Räume, die alle vornehm möbliert, mit Mosaiken an
    Fußböden und Wänden verziert und mit Liegen, Tischen,
    Vorhängen, Lampen und anderen Dingen ausgestattet
    waren, deren Gebrauch mir nicht bekannt war. Ich war
    überzeugt, daß die Bewirtschaftung dieser Gemächer
    unzählige Bedienstete, Sklaven und Laufburschen
    erforderte, aber wir erblickten keinen Menschen. Dann führte uns Paccius wieder ins Freie, in einen von Säulen
    umgebenen Innenhof in der Mitte des Gebäudes. Dort lag natürlich Schnee, und es wuchs und blühte noch nichts. Auf einer mit Fliesen belegten Terrasse ging ein Mann auf und ab. Er schien tief in Gedanken versunken, denn er rang im Gehen die Hände, ähnlich wie es der syrische
    Sklavenhändler getan hatte.
    Seine Haare waren weiß, und sein von der Sonne
    gebräuntes, glattrasiertes Gesicht war faltig, doch er ging aufrecht und sah für sein Alter kräftig aus. Er trug keine Uniform, sondern ein elegantes langes Gewand aus feinster Mutina-Wolle, das mit Pelz besetzt war. Als er uns sah, erhellte sich sein Gesicht und er eilte

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