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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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nun ein so besorgtes Gesicht wie der Legat. »Fabius hat sich sicher gleich an die Fersen der Hunnen geheftet und dabei den Tod gefunden.«
    »Sicher, hätte ich ihn nicht mit einer List ins Gefängnis gelockt und einsperren lassen. Er ist immer noch dort und schäumt vor Wut - auf mich und die Hunnen.«
    »Dann verstehe ich wieder nicht, warum du so verzweifelt bist«, sagte Wyrd. »Ich will nicht herzlos erscheinen, aber ich weiß, daß ein Mann den Verlust einer Frau bewältigen kann, ja, daß er sie mit der Zeit vielleicht sogar vergißt. Auch eine Frau wie Placidia. Fabius ist noch jung, und es gibt viele andere Frauen wie sie. Und Kinder sind schnell
    gemacht. Dein Geschlecht muß nicht aussterben, Calidius.«
    Der Legat seufzte. »Genau das habe ich ihm auch gesagt, und ich war froh über die Gefängnisstäbe zwischen uns.
    Nein, aus irgendeinem Grunde ist Fabius wie besessen von dieser Frau; er liebt den kleinen Calidius abgöttisch und erwartet voll Ungeduld die Geburt seines zweiten Kindes. Er schwört, daß er sich bei der nächsten Gelegenheit in sein Schwert stürzen wird, wenn er sie verliert. Ich weiß, daß er es ernst meint. Er ist mein Sohn. Ich muß die Geiseln
    zurückbekommen.«
    »Und ich soll sie dir holen«, sagte Wyrd barsch. »Welchen Beweis hast du, daß der Hunne die Wahrheit spricht und sie noch am Leben sind?«
    »Er hat jedesmal einen Beweis mitgebracht.« Der Legat
    seufzte wieder, griff in eine Tasche seines Gewands, holte zwei weiße, schlaffe Gegenstände heraus und reichte sie Wyrd. »Er brachte jedesmal einen Finger von Placidias
    Hand mit.«
    Ich wandte mich ab, um mich nicht zu erbrechen. Während Wyrd die Finger untersuchte, sagte der Legat mehr zu sich selber als zu uns: »Für jeden dieser Finger habe ich
    persönlich dem nichtswürdigen Sklaven in der Mühle zwei Finger abgeschnitten. Wenn sich die Verhandlungen über das Lösegeld noch länger hinziehen, muß er den Mühlstein bald mit den Ellbogen drehen.«
    »Beides sind Zeigefinger«, murmelte Wyrd. »Diesen
    brachte er zuerst, nicht wahr? Und diesen bei seinem letzten Besuch. Er wurde vor nicht allzu langer Zeit abgeschnitten.
    Ja, es stimmt, vor zwei Tagen lebte die Frau noch. Calidius, laß den Sklaven herbringen, sofort, bevor du ihn noch mehr verstümmelst.«
    Der Legat rief nach Paccius, und der Soldat eilte im
    nächsten Augenblick aus einer entfernten Ecke des
    Gebäudes herbei, wo er Posten bezogen hatte, und
    verschwand genauso schnell wieder, nachdem er den Befehl erhalten hatte.
    »Eines weiß ich über die Hunnen«, sagte Wyrd, während
    wir warteten. »Sie sind sehr ungeduldig. Es ist möglich, daß einige von ihnen am Stadtrand herumlungerten, in der
    Hoffnung, irgend jemanden aufzugreifen. Aber es wäre nicht ihre Sache, lange zu warten, bis zufällig die Person
    vorbeikommt, mit der sie Calidius am besten erpressen
    können. Sie müssen gewußt haben, auf wen sie warteten
    und wann die betreffende Person erscheinen würde. Es
    macht mich mißtrauisch, daß einer der fünf den Zug
    begleitenden Sklaven wie durch ein Wunder entkam.«
    »Mithras sei Dank«, knirschte der Legat, »daß ich den
    Elenden noch nicht getötet habe.«
    Paccius kam mit zwei Wachen zurück, die den Sklaven
    zwischen sich führten, so daß er halb rannte, halb stolperte.
    Er war stämmig und hellhäutig, doch er zitterte, und Angst stand ihm in den Augen, und außer einem Lendentuch und schmutzigen, blutigen Bandagen an den Händen trug er
    nichts. Als der Mann vor uns geführt wurde, zuckten die Hände des Legaten, als wolle er ihm an die Gurgel springen.
    Doch Wyrd sprach den Sklaven mit ruhiger Stimme auf
    Gotisch an: »Erbärmlicher, ich weiß alles. Wenn du es
    zugibst, verspreche ich dir, dich aus der Mühle zu befreien.«
    Als Wyrd ins Lateinische übersetzte, was er gesagt hatte, drang ein erstickter Laut aus der Brust des Legaten. Wyrd gebot ihm mit einer Handbewegung, zu schweigen. Dann
    fuhr er fort: »Wenn du es nicht zugibst, verspreche ich dir, daß du dich nach dem Mahlstein zurücksehnen wirst.«
    »Ihr wißt alles?« krächzte der Sklave.
    »Ja«, sagte Wyrd gleichgültig, als ob das tatsächlich der Fall wäre. »Ich weiß, daß du während eines früheren
    Besuchs in der Schmiede am Stadtrand von Basilia einen dort herumstreunenden Hunnen getroffen hast. Du hast die hunnischen Verschwörer verständigt, als Placidia und ihr Sohn sich auf den Weg zur Schmiede machten. Du hast ihr versichert, es bestehe keine

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